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Der Mörder von Denver: Die Tat aus dem Dunklen

Er galt als klug und vielversprechend. Die Tat plante James Holmes langfristig - und offenbar eiskalt. Was weiß man über ihn?

Vor dem Leben der Anderen hatte er keinen Respekt. Er wollte Tod bringen, nicht nur im Kinosaal in Aurora, wo er bei der Premiere des Batman-Films in der Nacht zu Freitag zwölf Menschen erschoss und mehr als 50 verwundete, zum Teil lebensgefährlich. James Holmes wollte ursprünglich auch die Ermittler in den Tod reißen, die in seiner Wohnung nach Unterlagen suchen würden, um das Verbrechen – vielleicht – erklären zu können. Bevor er die Wohnung verließ, hatte er zahlreiche Sprengstofffallen installiert, deren kombinierte Explosionskraft ausgereicht hätte, um den ganzen Gebäudekomplex in die Luft zu jagen. „Nach der Anordnung zu urteilen, wollte er jeden umbringen, der die Wohnung betritt“, sagt der örtliche Polizeichef Dan Oates.

Dieses Unheil konnte abgewendet werden. Holmes hatte sich unmittelbar nach der Tat auf dem Parkplatz hinter dem Kino festnehmen lassen. Im Verhör sagte er der Polizei, dass er größere Mengen Sprengstoff zu Hause lagere und Fallen gegen Eindringlinge installiert habe.

Bildergalerie: Der Amoklauf in Aurora

Amerikas Fernsehsender zeigen immer wieder die Bilder, wie die umliegenden Häuser evakuiert wurden, Feuerwehrleute von einer Drehleiter Fenster zu Holmes Wohnung einschlugen und mit größter Vorsicht in die Zimmer einstiegen. Am Ende mussten Spezialkräfte gerufen werden, um die Sprengsätze mit Hilfe von Robotern zu entschärfen oder zu kontrollierten Explosionen zu bringen. Nach Darstellung von Antiterrorexperten setzten sie spezielle Geräte ein, mit denen man jeden Stromfluss unterbrechen und so den Zündermechanismus ausschalten kann.

Drei Tage nach der Kinoschießerei gibt es noch immer kaum Hinweise, was das Motiv war. Es werden aber immer mehr Details bekannt, die die Ermittler zu einem Profil zusammenfügen. Der 24-Jährige hatte die Tat offenbar seit Monaten geplant. Die Polizei konnte rasch klären, woher die vier Waffen stammten, die er bei der Tat dabei hatte. Er hatte die zwei Pistolen der Marke Glock, eine Remington-Schrotflinte und ein Sturmgewehr Marke Smith & Wesson AR 15 in den letzten zwei Monaten legal in örtlichen Filialen der Ladenketten „Gander Mountain“ und „Bass Pro Shop“ gekauft. Online hatte er 6000 Schuss Munition geordert.

Aus den Berichten von Familienangehörigen, Studienkollegen und Nachbarn ergibt sich das Bild eines jungen Mannes, der einst als vielversprechender wissenschaftlicher Nachwuchs gegolten hatte, aber still und leise von seinem Weg abkam, ohne dass sich dies in auffälligem Verhalten bemerkbar machte. Die High School in San Diego, wo seine Eltern immer noch wohnen, schloss er 2006 mit so guten Noten ab, dass er ein Begabtenstipendium erhielt. Das Grundstudium am Riverside-College der University of California beendete er 2010 mit Auszeichnung und wechselte dann als Doktorand in Neurowissenschaften an die University of Colorado in Denver.

Vor wenigen Monaten ließen seine Studienleistungen nach. Bei Prüfungen bekam er schlechte Noten. In den letzten Wochen bereitete er den Abbruch seines Studiums vor, bestätigte die Universität. Es ist jedoch unklar, was diesen Wechsel ausgelöst haben könnte.

Das größere Interesse gilt den Opfern

Mit weit größerer Neugier interessieren sich die US-Medien jedoch für die Geschichten der Opfer. Das gehört zum nationalen Narrativ nach solchen Tragödien in den USA. So war das auch, als Jareed Loughner im Januar 2011 in Tucson, Arizona, die Abgeordnete Gabrielle Giffords niederschoss und sechs weitere Menschen tötete. Oder als der Student Seung Hui Cho 2007 an der Virginia Tech University 32 Menschen und sich selbst erschoss. Amerika wirkt jedes Mal erleichtert, wenn die Ermittlungen ergeben, dass es Einzeltäter mit Anzeichen einer leichten psychischen Krankheit waren. Die Tat wird als „sinnlos“ und „unamerikanisch“ bewertet – und dann folgt keine tiefere Debatte über mögliche Hintergründe, an denen die Politik etwas ändern könnte wie Waffenrecht, politische Rhetorik, Sprache der Gewalt oder die unzureichenden Therapieangeboten für schwere psychische Krankheiten.

Ausführlicher werden die Lebenshintergründe der Opfer oder der lebensrettenden Helfer geschildert. In Tucson, Arizona, wurde zum Beispiel Giffords Wahlkampfhelfer Daniel Hernandez, der ausgebildeter Sanitäter ist und ihr mit erster Hilfe das Leben rettete, als „einer unserer Helden“ gefeiert. Im Mittelpunkt der Opfergeschichten stand die neunjährige Christina. Das Mädchen war an 9/11 geboren, dem Tag, an dem in New York die Türme des World Trade Centers nach einem Terrorangriff einstürzten. Sie war kürzlich zur Klassensprecherin gewählt worden, interessierte sich für Politik und war mit Nachbarn zu Giffords Bürgersprechstunde gegangen, wo ein Attentäter in einem neuen „sinnlosen Akt der Gewalt“ ihr Leben beendete.

Nach den Schüssen im Kino von Aurora kennt fast jeder in Amerika die Geschichte der 24-jährigen Jessica Ghawi. Die angehende Sportreporterin war Anfang Juni mit viel Glück einer anderen Schießerei entkommen. Sie war zu Besuch in Toronto und hatte sich im Eaton Einkaufszentrum in der Etage mit den Imbissständen etwas zu essen gekauft. Die Quittung nennt als Uhrzeit 18 Uhr 20. Dann hatte sie plötzlich „so ein komisches Gefühl“ und blieb nicht dort, um zu essen, sondern ging ins Freie. Drei Minuten später eröffnete drinnen ein Mann mit Pistole das Feuer und schoss sieben Menschen nieder. In ihrem Blog schrieb Jessica damals: „Das ist kaum zu begreifen, dass ein komisches Gefühl mich vor einer tödlichen Schießerei gerettet hat.“ Und: „Ich habe gelernt, wie zerbrechlich das Leben ist. Ich habe den Horror in den Gesichtern der Augenzeugen gesehen.“

Am Donnerstag twitterte Jessica mehrfach, wie sehr sie sich auf die Premiere des Batman-Films in Aurora freue. Ihr letzter Tweet kam 20 Minuten vor Mitternacht. Eine Stunde später traf eine Kugel sie in den Kopf.

Präsident Obama wollte am Sonntag Nachmittag nach Colorado fliegen, um sich mit Überlebenden und den Familien der Getöteten zu treffen. Wegen der Zeitverschiebung war es da in Deutschland bereits nach Mitternacht.

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