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Politik: Die unentschiedene Nation

In Umfragen liegen Bush und Kerry fast gleichauf. Vier Gruppen sind besonders umkämpft: Junge, Alte, Schwarze und Frauen

Er sendet Signale aus, geheime Kodes. Die Rede, die Präsident George W. Bush auf dem Parteitag der Republikaner in New York hielt, ist ein Musterbeispiel. Da waren „Hügel zu erklimmen“ und „Täler zu durchschreiten“. Oft hört man ihn Sätze sagen wie: „Dem Schöpfer der Freiheit ist das Schicksal der Freiheit nicht egal.“ Das sind biblische Metaphern.

Bush buhlt um die gläubigen Christen. Evangelikale stellen rund ein Viertel der Wahlberechtigten, mehr als Schwarze und Hispanics zusammen. Doch viele von ihnen gingen vor vier Jahren nicht zur Wahl. Bush ließ sie kalt. Das ist nun anders. Aus seiner Frömmigkeit macht der Präsident kein Geheimnis. Vor jeder Kabinettssitzung wird gebetet, er ist gegen Abtreibung und embryonale Stammzellforschung, er bekämpft die Legalisierung der Homo-Ehe. Das soll Stimmen bringen, besonders in Staaten wie Ohio und Pennsylvania, in denen die Evangelikalen stark sind.

Doch wer die einen umgarnt, verprellt die anderen. Grob gilt: Junge und Alte, Frauen, Juden, Schwarze, Gewerkschafter und Säkulare wählen Demokraten, Männer mittleren Alters, Weiße, religiöse Protestanten, Soldaten, Waffennarren dagegen Republikaner. Um Katholiken und Latinos wird gerungen. Doch damit begnügen sich weder Bush noch sein demokratischer Herausforderer John Kerry. Je knappere Ergebnisse Umfragen vorhersagen, desto erbitterter dringt man in das Terrain des Gegners vor.

Vier Gruppen stehen kurz vor der Wahl im Fokus: junge Menschen, Senioren, Schwarze und Frauen. Sie gehören an sich dem demokratischen Milieu an – Junge und Schwarze fest, Senioren und Frauen knapp. Doch die Republikaner haben aufgeholt. Vor vier Jahren stimmten acht Prozent der Schwarzen für Bush, am kommenden Dienstag könnten es bis zu 18 Prozent sein. Viele sind in sozialen Fragen konservativ, etwa die Hälfte lehnt die Homo-Ehe ab. Zwar wurde Bill Clinton von ihnen verehrt, doch John Kerry lässt ihre Herzen kaum erglühen. Dass Bush unter Schwarzen höchst unbeliebt ist, reicht möglicherweise nicht, um sie in Scharen an die Urnen zu locken.

Ein ähnliches Problem hat Kerry bei jungen Amerikanern. Bei ihnen liegt er mit großem Abstand vorn. Doch vor vier Jahren wählten nur 29 Prozent der 18- bis 24-Jährigen. Was für den Herausforderer spricht: Eine Rekordzahl von Neuwählern hat sich registrieren lassen. Der Senator aus Massachusetts hat sie in den letzten Tagen vor allem mit dem Verdacht geködert, Bush werde die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen. Dem Präsidenten half kein Dementi, das Gerücht hält sich hartnäckig.

Die Senioren werden von beiden Seiten bearbeitet. Bei den vergangenen drei Wahlen haben sie lieber demokratisch gewählt, für Al Gore aber nur knapp. Die Wahlbeteiligung bei den über 65-Jährigen ist hoch, vor vier Jahren lag sie bei 64 Prozent. Viele sind erbost über den Irakkrieg und das Rekorddefizit. In Schlüsselstaaten wie Florida, Iowa und Pennsylvania sind über 15 Prozent der Bevölkerung im Seniorenalter. Im Endspurt des Wahlkampfs lassen weder Bush noch Kerry kaum ein Altenheim aus.

Das Wahlverhalten der Frauen ist am schwersten einzuschätzen. Dass die Popularität des Präsidenten nach dem Parteitag der Republikaner nach oben schnellte, lag offenbar an den „security moms“ – verheirateten Frauen mit Kindern und der größten Angst vor Terroranschlägen. Die grausigen Bilder aus Beslan verstärkten das. Anfang September lag Bush überraschend in der Gruppe der Frauen mit 48 zu 43 Prozent vorne. Bei den „security moms“ betrug die Differenz zu Kerry gar 27 Prozent. Doch inzwischen führt der bei allen Frauen mit 50 zu 40 Prozent.

Beide Lager versuchen, diese Stimmung durch Werbespots zu beeinflussen. Vor einer Woche strahlten die Republikaner ihren neuen Clip aus. Für 14 Millionen Dollar wird er in „Battleground States“ gezeigt. Zu sehen ist ein Teenager, Ashley Faulkner. Ihre Mutter starb im World Trade Center. Bush hat die Tochter bei einer Wahlveranstaltung in Ohio umarmt, jetzt sagt sie über den Präsidenten: „Er will doch nur, dass ich sicher bin.“

Kerrys Strategen haben einen verblüffend ähnlichen Spot produziert. Er zeigt Kristen Breitweiser, deren Mann im World Trade Center ums Leben kam. Im Jahr 2000 hatte das Ehepaar Bush gewählt. Diesmal unterstützt die Witwe den Demokraten. „Wir sind nicht sicherer geworden“, sagt sie. Und mit Blick auf ihr Kind: „Ich will meiner Tochter in die Augen sehen und wissen, dass sie sicher ist.“

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