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CDU/CSU und die Flüchtlingskrise: Die Union ist ratlos und nervös

Kanzlerin Angela Merkel hat mit ihrem „Wir schaffen das“ in ihrer Union viel Verwirrung ausgelöst. Die sucht jetzt den richtigen Kurs im Umgang mit Flüchtlingen. Wer will was in der CDU/CSU? Fragen und Antworten.

Von Robert Birnbaum

Peter Altmaier hat viele Talente, als Prophet ist er aber bisher nicht hervorgetreten. Umso bemerkenswerter sind die Sätze, die die Käufer der „Saarbrücker Zeitung“ am Mittwoch lesen können. Angela Merkel, versichert dort ihr Kanzleramtschef, habe genügend Rückhalt, um bis zum Ende der Wahlperiode im Amt zu bleiben: „Ich habe daran keinen Zweifel.“ Und was die sinkenden Umfragewerte angehe, nein, das sei „keine Trendwende“. Das soll wohl beruhigend wirken. Doch es belegt eher das Gegenteil: Wenn Merkels engster Mitarbeiter sich genötigt sieht, im Wald zu pfeifen, muss die Lage brisant sein. Die Flüchtlingskrise stürzt die Union in eine beispiellose Rat- und Hilflosigkeit. Die größte Regierungspartei wirkt nervös.

DER FRAKTIONSCHEF

Volker Kauder bekommt diese Stimmungslage in jeder Fraktionssitzung zu spüren. Am Dienstag platzt ihm der Kragen. Das Kabinett hat gerade ein dickes Maßnahmenbündel beschlossen, gleich soll seine Unionsfraktion es billigen, damit schärfere Asylregeln und zusätzliche Milliarden so rasch wie möglich den Flüchtlingsstrom kanalisieren helfen.

Doch aus den eigenen Reihen kommen schon die nächsten Pläne: den Mindestlohn für Flüchtlinge aussetzen, fordert der Wirtschaftsflügel, das „Flughafenverfahren“ auch an Land anzuwenden, empfiehlt CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Kauder versucht den Ideenstrom zu bremsen. „Nicht jeden Tag neue Forderungen!“, schimpft der Fraktionschef. „Wir verwirren die Leute nur.“

Kauders Sorge ist nur zu berechtigt. Das Milliarden- und Maßnahmenpaket ist noch nicht in Kraft, da wird es schon allenthalben als unzureichend abqualifiziert. Der Versuch, Handlungsfähigkeit zu beweisen, droht so glatt zu verpuffen. Genutzt hat Kauders Appell nichts: Tags darauf bringt der Innenminister das „Flughafenverfahren“ wieder auf die Tagesordnung

DER INNENMINISTER

Thomas de Maizière hat einen schweren Stand. Von Amts wegen gucken alle auf ihn, wenn es darum geht, den Flüchtlingstreck zu bremsen. Doch de Maizière muss fast täglich neue Rekordzahlen verkünden. Für den September wird in der Regierung intern mit bis zu 230 000 Menschen gerechnet.

In der Union erfährt der Minister trotzdem demonstrative Solidarität. Als er am Dienstag das Regierungspaket vorstellte, applaudierte die Fraktion lange und stark. Die Abgeordneten halten de Maizière zugute, dass er ernsthaft Wege zur Kontrolle der Völkerwanderung sucht.

Die jüngste Idee, das „Flughafenverfahren“ auf Land auszuweiten, zählen etliche allerdings unter Aktionismus. Grundlage ist eine EU-Richtlinie, die Deutschland sowieso umsetzen muss (siehe Kasten). Aber wie das Schnellverfahren, das für den umgrenzten Transitbereich eines Flughafens ersonnen wurde, entlang von hunderten Kilometern offener Grenze funktionieren soll, versteht bisher niemand. „Wir können ja keinen Zaun bauen“, sagt einer aus der Fraktionsspitze.

Doch inzwischen werden in der Union Stimmen laut, die mindestens einen virtuellen Zaun fordern. Lorenz Caffier, Landesinnenminister Mecklenburg-Vorpommerns, hat im Namen aller Unionskollegen einen Brandbrief an de Maizière geschrieben. Die Ressourcen der Länder seien bald erschöpft, man müsse schnell zurück zum Dublin-Verfahren in der EU – und wenn andere EU-Staaten davon nichts mehr wissen wollten, dann müsse Deutschland sie dazu zwingen: Schließlich könnte man alle Asylsuchenden an der Grenze zurückweisen, wenn sie über ein anderes EU-Land, also einen sicheren Drittstaat, eingereist seien.

DIE ABGEORDNETEN

Zwischen den stressigen Sitzungswochen in Berlin nach Hause zu kommen, ist für Abgeordnete seit Wochen keine Freude mehr. Überall im Land werden Merkels Volksvertreter mit überlasteten Helfern, ratlosen Verwaltungschefs und vor allem sehr viel Sorge und Unsicherheit bei ihren Wählern konfrontiert. „Die Leute haben Angst, einfach Angst“, sagt ein CDU-Mann. Mit gutem Zureden allein sei da wenig zu machen: Wenn in einem kleinen Ort mit knapp 1000 Einwohnern plötzlich in einer alten Schule 150 junge Männer einquartiert werden, dann fühlten sich auch Gutwillige überfordert. Merkels Satz „Wir schaffen das“ wird an der Basis zur bangen Frage umformuliert: Wie sollen wir das schaffen? Einen Masterplan, der kurzfristig wirkt, können die Parlamentarier aus Berlin nicht liefern. Und Merkels Optimismus traut sich keiner so richtig zu teilen. Die Union ist diese Rolle nicht gewohnt. Ihre Innenpolitiker standen bisher für Abwehr; das Wort „Missbrauch“ ging ihnen stets leichter von den Lippen als „Willkommen“.

DIE WAHLKÄMPFER

Julia Klöckner hat neulich öffentlich gemacht, dass ihr ein muslimischer Geistlicher in einer Flüchtlingsunterkunft den Handschlag verweigert hat. So gehe es nicht mit der Integration, schimpfte die rheinland-pfälzische CDU-Chefin anschließend – wer in Deutschland leben wolle, müsse sich an deutsche Werte und Regeln halten. Klöckner hat diesen Kurs schon verfolgt, bevor die Flüchtlingswelle anschwoll. Damals wurde ihre Forderung nach einem Burka-Verbot als krampfhafter Versuch belächelt, im Landtags-Vorwahlkampf ein Thema zu finden.

Inzwischen braucht sie das nicht mehr zu suchen, es steht im Raum. Für Klöckner und die CDU-Spitzenkandidatenkollegen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt wird das Flüchtlingsthema absehbar die entscheidende Frage für den Ausgang der Landtagswahlen im nächsten März. Wo die CDU Opposition ist, liegt darin eine gewisse Chance – sie kann versuchen, Probleme vor Ort der Landesregierung in die Schuhe zu schieben. Aber Merkels Willkommenskurs verbietet die klassische Frontstellung schwarzer Ordnungspolitik gegen rot-grünes Multikulti. Und wenn die Bundespolitik es nicht schafft, den Zustrom zu stoppen, dürften Merkels Statthalter in den Ländern den Unmut an der Wahlurne abbekommen. Schon ersteht die tot geglaubte „Alternative für Deutschland“ (AfD) in den Umfragen wieder auf. Koalitionsmathematisch kann ein AfD-Erfolg der CDU sogar nützen, weil er knappe rot-grüne Mehrheiten verhageln würde. Aber politisch kann sich keine CDU eine Renaissance der Wutbürger-Truppe wünschen.

DER WUTBAYER

Besonders bedroht sieht sich da die CSU. Jede neue Konkurrenz kann die absolute Mehrheit kosten. Dass der Ober-Bayer Horst Seehofer vom ersten Moment an gegen Merkels „Wir schaffen das“-Politik anrannte, hängt mit dieser Angst zusammen. Seit Wochen stellt Seehofer die Kanzlerin als leichtfertige Gefühlsduslerin hin und die Grenzöffnung für Flüchtlinge aus Ungarn als Sündenfall, der die Welle erst in Gang gesetzt habe. Seit Wochen fordert er von Merkel einen Kursschwenk – weg vom Willkommen, zurück zur Abwehr. Im Kabinett in München haben sie zuletzt über einen bayerischen Alleingang gesprochen. Erwogen wurde da zum Beispiel, Ankömmlinge künftig gleich in den nächsten Zug in ein anderes Bundesland zu setzen.

Nun steht außer Frage, dass Bayern als Grenzland eine gewaltige Last zu schultern hat. Und auch in der CDU fremdeln viele mit Merkels Umgang mit der Krise. Aber Seehofer, finden oft dieselben Leute, mache sich bloß einen schlanken Fuß. Zu spüren bekam diese Stimmung am Dienstag in der Unionsfraktion sein Generalsekretär Andreas Scheuer. Als der eine Brandrede hielt, rief eine CDU-Kollegin dazwischen: „Was würdest du denn machen?“ Scheuer, völlig aus dem Konzept gebrachte, verstummte.

DIE KANZLERIN

Wenn Merkel sich Sorgen macht wegen des ungebremsten Zustroms, dann lässt sie es sich jedenfalls nicht anmerken. „Jede Zeit hat ihre eigene Herausforderung“, sagt die Regierungschefin am Mittwoch beim Empfang der „Jugend forscht“-Preisträger. „Das wird unsere Politik gravierend ändern.“ Das ist zweifellos richtig, so wie es korrekt war, dass das deutsche Asylrecht keine Obergrenzen kennt. Aber es sind solche Sätze, die in der Union viele irritieren. Hatten sie mit Merkel nicht gerade deshalb in den letzten Jahren so einen beispiellosen Erfolg, weil diese Kanzlerin ihrem Volk lästige Zumutungen zu ersparen schien?

Merkel ficht das offenbar nicht an. Wer dieser Tage in kleinerer Runde mit ihr zusammenkommt, berichtet von einer entschlossenen Regierungschefin. Was auch immer der Auslöser war, so ihre Linie, jetzt müsse man mit den Problemen fertig werden, statt sie zu beklagen. Aber anders als im Fall Griechenland oder in der Finanzkrise ist Merkel auf den guten Willen anderer angewiesen – in Europa, in der Türkei, in den Krisenregionen, selbst in Russland und den USA. Und nicht zuletzt im eigenen Land. Noch meckern nur Seehofer und einige übliche Verdächtige. Doch Zweifel wachsen: Schafft sie das?

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