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Dietmar Bartsch, seit dem 13. Oktober 2015 zusammen mit Sahra Wagenknecht Vorsitzender der Linksfraktion. Fotografiert beim Interview in seinem Büro im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin-Mitte.

© Thilo Rückeis

Dietmar Bartsch zu Übergriffen in Köln: "Die Macho-Kultur ist in Deutschland auch ohne Migration ausgeprägt"

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch spricht im Interview über die Awacs-Mission der Bundeswehr, die Kölner Ereignisse und den Machtwillen der SPD.

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Herr Bartsch, hat die Willkommenskultur in Deutschland nach der Silvesternacht von Köln noch eine Chance?

Das waren widerliche, kriminelle Ereignisse. Das ist nicht tolerabel. Es muss seriös ermittelt und mit der vollen Härte des Gesetzes reagiert werden. Die Ereignisse von Köln dürfen aber nicht dazu führen, dass Deutschland sich künftig abschottet und Flüchtlinge als potenzielle Verbrecher und Vergewaltiger verdächtigt werden. Das wäre in der Sache völlig falsch, würde das Klima im Land vergiften und enormen Schaden anrichten. Auf barbarische Aktionen darf nicht mit Kulturlosigkeit reagiert werden, hier müssen sich der Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft bewähren.

Hat die Polizei in Köln versagt?

Nur einige oberschlaue Politiker trauen sich zu, das ohne Sachkenntnis aus der Ferne zu beurteilen. Ich beteilige mich an diesem Spiel nicht. Aber auf eine Tatsache sollte man aufmerksam machen: Wer das Personal von Bundes- und Landespolizei über Jahre radikal reduziert, der legt es förmlich darauf an, dass die Ordnungskräfte irgendwann überfordert sind. Wir als Linke haben diese Kürzungsorgien immer kritisiert. Wir brauchen mehr Polizisten – nicht zuerst in der Verwaltung, sondern auf den Straßen und Plätzen.

Es waren offenbar viele junge Männer aus Nordafrika oder arabischen Ländern, die übergriffig wurden. Holen wir uns mit Zehntausenden von Flüchtlingen aus dieser Region auch eine „Macho-Kultur“ ins Land, die Frauen das Leben erschwert?

Die Macho-Kultur ist in Deutschland auch ohne Migration ausgeprägt. Aber es ist schon so: In einigen Ländern ist ein Frauenbild verbreitet, das unerträglich ist, zum Beispiel in Saudi-Arabien oder im Iran. Bei uns gelten die Gesetze der Bundesrepublik und keine anderen. Selbstverständlich herrscht hier Religionsfreiheit, aber Gewalt, Menschenverachtung und Frauenfeindlichkeit dürfen in unserem Land keinen Platz haben.

Braucht Deutschland schärfere Gesetze, die eine schnellere Abschiebung straffälliger Flüchtlinge ermöglichen?

Wenn einige aus der großen Koalition reflexartig nach schärferen Gesetzen rufen, hilft das keinem Opfer und beeindruckt auch keinen Täter. Ich bedauere, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel sich an diesem Wettbewerb des Populismus beteiligt. Anders als er suggeriert, kann niemand in den Folterstaat Syrien abgeschoben werden. Es wäre schon viel erreicht, wenn man die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten konsequent nutzen würde. Das Problem in Köln waren nicht zu lasche Gesetze.

Wirtschaftlich Schwache fühlen sich als Erste in sozialer Konkurrenz zu den Flüchtlingen. Genau diese Gruppe zählt zu Ihrem Wählerpotenzial. Fordert die Migrationskrise die Linke ganz besonders heraus?

Nein, das ist eine Herausforderung für alle politisch Verantwortlichen. Ängste kann man nicht nehmen, indem man sie ignoriert. Viel zu lange ist in diesem Land Politik auf dem Rücken der sozial Schwachen gemacht worden, das haben wir immer wieder kritisiert. Wenn man den Wohlstand endlich gerechter verteilt und die Menschen fair behandelt, kann man sie weniger anfällig für rechtspopulistische Hetze machen. Da sind Politiker aller demokratischen Parteien gefordert, und zwar von der Kommune bis zum Bund.

Aber gerade in den neuen Ländern, wo Ihre Partei die besten Wahlergebnisse erzielt, sind die Vorbehalte gegen Flüchtlinge am größten…

Das leugne ich gar nicht. Eine der Ursachen dafür ist, dass die wirtschaftlichen und sozialen Probleme für die Menschen dort größer sind. Man muss sich nur die ökonomischen Daten ansehen. Die wirtschaftliche Angleichung des Ostens an den Westen ist seit Jahren ins Stocken geraten, die Arbeitslosigkeit ist hier weiterhin deutlich höher. Aber man darf den Osten nicht über einen Kamm scheren. Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen Dresden und Schwerin oder Potsdam, von ländlichen Gebieten ganz zu schweigen. Wir haben aktuell ein spezifisch sächsisches Problem.

Seit mehr als einem Jahr regiert mit Bodo Ramelow erstmals ein Ministerpräsident der Linkspartei. Hat die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen Vorbehalte gegen ein solches Bündnis im Bund verringert?

Vor der Regierungsbildung wurde der Untergang des Abendlandes prophezeit, falls ein Linker in Erfurt Ministerpräsident würde. Nun macht Bodo Ramelow einen hervorragenden Job. Mit Blick auf den Bund bedeutet das: Wir zeigen, dass wir eine Landesregierung führen können. Das ist ein erheblicher Schritt für die Linke. Das erhöht die Chancen für eine Mitte-Links-Koalition im Bund, für eine andere Politik für ganz Deutschland.

Sie haben Mitte Oktober gemeinsam mit Sahra Wagenknecht die Führung der Linksfraktion übernommen. Ihre Ko-Vorsitzende hat die Luftangriffe gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien, an denen sich nun auch die Bundeswehr beteiligt, mit den Terroranschlägen von Paris verglichen. Verhöhnt sie damit nicht die Opfer?

Die Attentate in Paris haben wir gemeinsam verurteilt. Ebenso verurteilen wir auch die Luftangriffe auf den IS, weil sie viele zivile Opfer Unschuldiger bringen. Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik muss gestoppt werden, Deutschland schickt Tornados in den Einsatz gegen den IS, Awacs-Überwachungsflugzeuge in die Türkei und weitet den Einsatz in Mali aus. Damit lösen wir die Probleme nicht, im Gegenteil. Sahra Wagenknecht und ich verurteilen jeglichen Terror und sind der Auffassung, dass Terror nicht mit Krieg bekämpft werden kann. Ich habe Sahra Wagenknecht so verstanden, dass sie die Luftangriffe und die Terroranschläge verurteilt, aber keineswegs gleichgesetzt hat. Das ist auch nicht gleichzusetzen.

Sie sagen, Wagenknechts Vergleich sei nicht Ihr Vergleich. Scheuen Sie mit Blick auf die radikale Linke in Ihrer Partei eine klare Distanzierung?

Keineswegs. Sahra Wagenknecht hat die Luftangriffe gegen den IS, an denen die Bundeswehr beteiligt ist, nicht mit den Attacken der Terroristen von Paris gleichgesetzt.

Wie will die Linkspartei die Einsätze der Bundeswehr im Luftkampf gegen den IS und die Awacs-Beteiligung in der Türkei stoppen?

Sahra Wagenknecht und ich werden der Fraktion vorschlagen, Klagen gegen diese Einsätze zu erheben. Die Bundesregierung verletzt unseres Erachtens grundlegende Rechte des Parlaments, wenn sie ohne Zustimmung des Bundestags in einem dürren Schreiben kurz vor Weihnachten ankündigt, deutsche Soldaten in Awacs-Flugzeugen in die Türkei zu schicken.

Wagenknechts Vergleich ist von allen anderen Bundestagsparteien empört zurückgewiesen worden. Hat sie damit nicht die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei im Bund gemindert?

Die Chancen für Regierungsverantwortung im Bund können wir hoffentlich im Jahr 2017 ausloten – vorher nicht. Mein strategisches Ziel bleiben Mitte-Links- Bündnisse mit einer starken Linkspartei in vielen Bundesländern und im Bund. Wenn wir verhindern wollen, dass Europa weiter auseinanderfällt, müssen wir im wirtschaftlich stärksten Mitgliedsland eine andere Politik machen. Wir Linken müssen 2017 so viel Stimmen mitbringen, dass das möglich wird.

Hat Ihre Ko-Vorsitzende Wagenknecht wirklich das gleiche Ziel? Sie hat kürzlich gesagt, es habe gar keinen Sinn, sich mit der SPD-Spitze zusammenzusetzen.

Wir haben schon als stellvertretende Fraktionsvorsitzende gemeinsam ein Papier geschrieben, in dem wir das Ende der Blockadepolitik der SPD gegenüber einer Koalition mit der Linkspartei im Bund begrüßt haben. Ich will nicht bestreiten, dass Sahra Wagenknecht skeptischer ist als ich, ob wir dieses Ziel je erreichen. Es wird ohnehin nur begrenzt an uns liegen. Entscheiden muss sich die SPD.

Das müssen Sie uns erläutern.

Die Sozialdemokraten haben sich in eine babylonische Gefangenschaft der Union begeben. Wenn CDU und CSU Fortschritte blockieren, trägt die SPD das gegen alle Vernunft mit. Und das, obwohl viele SPD-Abgeordnete fast körperlich darunter leiden, wenn wir im Bundestag gut begründete Anträge einbringen, die die SPD-Fraktion aus falscher Rücksicht auf die Union dann ablehnt, wie zum Beispiel die Ehe für alle.

Ist Sigmar Gabriel mit seinem Kurs der Mitte der Richtige, um die SPD aus der „babylonischen Gefangenschaft“ zu führen?

Ich habe mich dazu kürzlich skeptisch geäußert, will das aber nicht permanent wiederholen, weil uns das dem Ziel eines Mitte-Links-Bündnisses in Deutschland nicht näherbringt. Die SPD wird nach den Landtagswahlen im März in Baden- Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ihre Entscheidung treffen müssen.

Fehlt es der SPD am Machtwillen?

Das ist leider so. Es ist kein Zufall, dass der letzte Kanzler der SPD ein Politiker war, der zuvor am Zaun des Kanzleramts gerüttelt hat. Solange die SPD nicht mit jeder Faser entschlossen ist, die nächste Bundesregierung zu führen und dazu Bündnispartner sucht, stellt sich die Frage Mitte-Links nicht.

Zur Person

Dietmar Bartsch, Jahrgang 1958, trat 1977 in die SED ein. Im Wendejahr 1989 gehörte er zu den Mitbegründern der AG Junge GenossInnen, der neuen Jugendorganisation der Partei. Seit 1991 gehörte der in Moskau promovierte Ökonom zur Führungsriege der Partei, lange Zeit als Bundesgeschäftsführer. Seit Oktober 2015 ist er einer der beiden Fraktionschefs der Linken im Bundestag.

Das Gespräch führten Hans Monath und Rainer Woratschka.

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