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Politik: Dreieinhalb Jahre Stillstand

Regierung und Opposition streiten schon ewig über einen Kompromiss für ein neues Zuwanderungsgesetz

Seit dreieinhalb Jahren streiten Regierung und Opposition über ein neues Zuwanderungsgesetz. Eine Lösung des Konflikts scheint nach einer Marathonsitzung des Vermittlungsausschusses von 17 Stunden am Freitag und Samstag immer unwahrscheinlicher. Begonnen hat die Debatte im New-Economy-Rausch im Februar 2000. Damals schlug Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor, Green-Cards – eine vereinfachte Arbeitserlaubnis – für ausländische Computerexperten auszugeben. Tatsächlich kam eine Hand voll indischer und osteuropäischer Computerspezialisten so nach Deutschland.

Schon Ende 2000 war zwar die New-Economy-Euphorie verflogen, die ersten Firmen gingen Pleite. Doch Mitte des Jahres hatte Innenminister Otto Schily (SPD) eine Zuwanderungskommission unter dem Vorsitz der CDU-Bundestagsabgeordneten Rita Süssmuth berufen, die zu dem Schluss kam, dass Deutschland aus Gründen des Arbeitsmarktes und wegen der drohenden Überalterung der Gesellschaft Zuwanderung brauche. Im November 2001 legte Schily einen Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz vor, das das bestehende Ausländerrecht vereinfachen sollte. Einwanderung sollte nach einem Punktesystem je nach den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes möglich werden. Im März 2002 beschloss der Bundestag das Gesetz gegen die Stimmen der Union. Nur drei CDU-Abgeordnete, Rita Süssmuth, Heiner Geißler und Christoph Schwarz-Schilling, stimmen für die Regierungsvorlage.

Drei Wochen später stimmte der Bundesrat dem Zuwanderungsgesetz zu. Allerdings kam es dabei zu einem Eklat, weil die brandenburgische SPD-CDU-Koalition gespalten abgestimmt hatte: Jörg Schönbohm (CDU) stimmte dagegen, Manfred Stolpe (SPD) dafür. Klaus Wowereit (SPD), der damalige Bundesrats-Präsident, fragte Stolpe ein zweites Mal, der wieder für das Gesetz votierte. Wowereit wertete dies als Zustimmung des Landes Brandenburg. Die Union war empört und klagte gegen diese Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Mitte Dezember entschieden die Karlsruher Richter, dass die Entscheidung nicht rechtmäßig zustande gekommen war. Mitte Januar 2003 brachte Rot-Grün das Zuwanderungsgesetz unverändert in den Bundestag, wo es im Mai 2003 erneut verabschiedet wurde. Im Juni 2003 stoppte die Union das Gesetz im Bundesrat. Seither verhandelt eine Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses.

Die wichtigsten Streitpunkte haben sich im Verlauf der Debatte, die stets von Wahlkämpfen und parteitaktischen Finten geprägt war, mehrfach verändert. Im Folgenden die wichtigsten Konfliktpunkte:

Das Punktesystem: Rot-Grün wollte mit dem Zuwanderungsgesetz ein Punktesystem einführen, um den Zuzug von qualifizierten oder auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders gesuchten Ausländern möglich zu machen. Die Union lehnte dies von Anfang an kategorisch ab. Es müsse darum gehen, „Zuwanderung zu begrenzen“, betonte der bayerische Innenminister Günter Beckstein (CSU). Otto Schily sagte dem Tagesspiegel dagegen am 12. März: „Einem Nobelpreisträger können wir keinen Aufenthalt auf Bewährung anbieten, sondern müssen ihm den roten Teppich ausrollen.“ Zumindest darauf konnten sich Regierung und Opposition zuletzt einigen. Allerdings verzichtete Rot- Grün dafür auf die Einführung eines Punktesystems. Die Union besteht darauf, die Zuwanderung auf „Hochqualifizierte“ zu beschränken.

Die humanitäre Frage: Die Regierung will die so genannten Kettenduldungen abschaffen und lange in Deutschland lebenden Ausländern stattdessen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewähren. Davon könnten vor allem Bürgerkiegsflüchtlinge profitieren. Darüber hinaus will Rot-Grün, dass auch eine nicht- staatliche oder geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anerkannt wird. Ein Beispiel dafür wäre etwa Somalia, wo es zwar Verfolgung bestimmter ethnischer Gruppen, aber keinen Staat mehr gibt. Oder die Gefahr einer Klitorisbeschneidung, die in vielen afrikanischen Staaten üblich ist, könnte eine geschlechtsspezifische Verfolgung sein. Die Union will eine solche Ausweitung der Asylgründe verhindern und lediglich die Genfer Flüchtlingskonvention anerkennen.

Der Familiennachzug: Auf Druck der Union hat die Regierung sich entschieden, das Nachzugsalter für Flüchtlingskinder auf 12 Jahre zu senken. Ältere Kinder müssten selbst Asyl beantragen, oder in ihrem Ursprungsland getrennt von den Eltern weiterleben. Die Union hat eine Senkung des Nachzugsalters auf zehn Jahre gefordert.

Die Integration: Die Union verlangt, dass auch lang in Deutschland lebende Ausländer Integrationskurse besuchen müssen. Sollten sie diese verweigern, sollen ihnen Sanktionen auferlegt werden. Allerdings haben sich Regierung und Opposition in dieser Frage insoweit angenähert, als beide erkannt haben, dass dafür einfach das Geld nicht reicht.

Die Sicherheitsfrage: Die Union hat in die bisher letzte Verhandlungsrunde um das Zuwanderungsgesetz eine Vielzahl von Anti- Terror-Regelungen als Bedingungen für einen Kompromiss eingebracht. Sie verlangt, dass terrorverdächtige Ausländer sofort abgeschoben werden. Damit ist auch Schily einverstanden. Sollte das aus humanitären Gründen nicht möglich sein, sollen sie bis zu zwei Jahren in Sicherungshaft genommen werden. Das lehnt Rot-Grün ab. Stattdessen sollen gefährliche Ausländer mit Melde- und Wohnsitzauflagen sowie Kontaktverboten besser kontrolliert werden.

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