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Teilnehmer eines Aufmarsches des fremdenfeindlichen Bündnisses Pegida in Dresden.

© dpa

Martenstein zu Protesten am Einheitstag: Ein 3. Oktober wie 1968

Die Freiheiten der Demokratie gelten für alle - auch für die Demonstranten bei der Einheitsfeier in Dresden. So war es 1968, so ist es jetzt.

Am 3. Oktober haben in Dresden Demonstranten die Einheitsfeier aggressiv gestört und unappetitliche Parolen gerufen, unter anderem „Volksverräter!“. Mir sind die Demonstrationen meiner Jugend eingefallen, beliebte Parolen hießen „USA – SA – SS“ oder „Haut die Bullen platt wie Stullen“.

Nicht selten wurden Steine geworfen. Im November 1980 verteilte die Alternative Liste, Vorläufer der Grünen, ein Flugblatt, auf dem stand: „Klar, es sind Fenster eingeschlagen, es ist geklaut worden. Zu Distanzierung besteht nicht der geringste Anlass.“ Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Lukas Beckmann, schrieb: „Aktionen des aktiven, gewaltfreien Widerstands schließen Gewalt gegen Sachen nicht aus.“ Mit diesem Satz könnte man es auch rechtfertigen, wenn Scheiben von Flüchtlingsheimen eingeworfen werden.

Ich schreibe dies nicht, um etwas gleichzusetzen oder zu legitimieren. Ich will klarmachen, dass Derartiges die unschöne Begleitmusik von gesellschaftlichen Konflikten ist. Manchmal müssen Polizei und Staatsanwälte eingreifen, dabei ist auf Verhältnismäßigkeit zu achten. Wer so etwas völlig unterbinden will, muss für türkische Verhältnisse sorgen.

Claudia Roth wie Franz Josef Strauß

Nach dem 3. Oktober hieß es in einem Kommentar, die Parole „Merkel muss weg!“ sei nahe bei der „Sprache des Dritten Reiches“. Dass eine Opposition die Regierung weghaben möchte, scheint mir das klassische Anliegen jeder Opposition zu sein, etwa seit 1789. Wer das für illegitim hält, nähert sich meiner Ansicht nach selber dem Denken des „Dritten Reiches“.

Ist wirklich jemand der Ansicht, dass Meinungsfreiheit ein Monopol der Linken sein sollte, so wie sie andernorts ein Monopol der Erdogan- oder Putin-Anhänger ist? Dann geht von dieser Person die größere Gefahr für die Demokratie aus als von den Demonstranten. Die Freiheiten der Demokratie gelten nicht nur bei schönem Wetter, und sie gelten für alle, solange sie nicht Gewalt anwenden oder zu Gewalt aufrufen.

In gewisser Weise haben wir eine ähnliche Situation wie 1968, auf der einen Seite das Establishment, auf der anderen Seite eine nicht ganz kleine, wütende, an den Rändern gefährliche, sich radikalisierende Minderheit. In einer Diktatur werden solche Kräfte unterdrückt und greifen meist zur Gewalt, in einer Demokratie werden sie, wie nach 1968, früher oder später Teil des Systems, heißen Fischer oder Kretschmann und entradikalisieren sich, wobei sie natürlich einige ihrer Forderungen, abgemildert, durchsetzen können. So läuft das in der Regel.

Claudia Roth wollte mit den Demonstranten reden, den Dialog eröffnete sie mit dem Satz: „Herr, schmeiß Hirn ra!“ Das hätte Franz Josef Strauß 1968 auch so gemacht. Die Demonstranten reagierten, wie auch die APO reagiert hätte.

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