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Politik: Ein Einzelzimmer für 1600 Euro

Die Regierung der Region Latium stürzt über massive Korruption – auch das Ende von Berlusconis Partei?

Rom - Natürlich – es ist ja wie in einem schlechten Film – schlürften sie Austern und ließen Champagner strömen. Sie kauften Taschen von Gucci, wertvolle alte Bücher und teuerste Smartphones der neuesten Generation. Ein Abgeordneter holte sich in Neapel zehn Marinella-Krawatten für 1200 Euro; sein Fraktionschef dinierte und logierte eine Nacht – er allein! – für 1620 Euro in einem Vier-Sterne-Hotel. Der andere Fraktionschef, der von der Opposition, gab 4500 Euro in einer Weinhandlung aus mit der Begründung, man habe „Weihnachtsgeschenke für Kinder in armen Familien“ besorgt. Sie alle reichten ihre Rechnungen – echte, gefälschte, überhöhte – im Parlament der Region Latium ein. Und bekamen alles erstattet.

„Wir haben schon viele krankhafte Zustände gesehen“, sagt der Chef von Italiens oberstem Rechnungshof, Luigi Giampaolino, „aber dass es mal so weit kommen würde, hätten wir nie gedacht.“ Der Skandal fegt durch ein Italien, in dem viele Bürger, von Steuererhöhungen und steigender Arbeitslosigkeit geplagt, nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Jetzt hören sie: Ein Abgeordneter der Region Latium, also des „Bundeslands“ mit Rom und um Rom herum, bekommt pro Monat nicht nur 12 800 Euro an Diäten und an Zuschüssen „für den Kontakt mit den Wählern“; er kriegt im Jahr auch noch 100 000 Euro obendrauf, einfach so, weil die Fraktionen im Regionalparlament sich das Geld dafür eigenhändig genehmigt haben.

In erster Linie trifft der Skandal die Berlusconi-Partei „Volk der Freiheit“ (PDL). Deren mittlerweile abgetretener Fraktionschef Franco Fiorito, genannt „Batman“, hatte sich verdächtig gemacht, weil er nach heutigem Stand der Ermittlungen eine gute Million Euro Fraktionsgelder auf private Konten in Italien und Spanien abgezweigt hatte. Der 170-Kilo-Mann, einmal ertappt, legte gleich das Geflecht der parlamentarischen Selbstbedienung offen – wenigstens das seiner Partei.

Innerhalb von nicht einmal zwei Jahren haben die 71 Regionalabgeordneten – in einmütigem Beschluss aller Parteien – die offiziellen Zuschüsse „für das Funktionieren der Fraktionsarbeit“ von einer auf 14 Millionen Euro jährlich erhöht. Darüber hinaus haben sie die Zahl der Landtagsausschüsse auf italienischen Rekord getrieben. Klar: Wer einem Ausschuss vorsitzt, erhält eine Gehaltszulage.

Jetzt ist Schluss. Unter schwerem Beschuss aus den Medien, der Kirche, der Industrie und dem Rechnungshof hat sich die 50-jährige Regionalpräsidentin Renata Polverini zum Rücktritt entschlossen. „Ich bin sauber, das Parlament ist unwürdig“, sagte sie am Montagabend. In Latium (5,7 Millionen Einwohner) regierte bisher Polverinis rechtskonservative Bürgerliste im Bündnis mit Berlusconis PDL, einer rechtsextremen Gruppierung und den Christdemokraten. Jetzt wird der Landtag aufgelöst; in spätestens drei Monaten muss es Neuwahlen geben.

Genau das aber wollte Berlusconi in schier panischer Angst vermeiden. Das Ansehen seiner Partei ist nicht nur durch „Laziogate“ verheert, sondern durch gravierende Korruptionsfälle auch in Mailand und Neapel, von seinen persönlichen Affären zu schweigen. Neuwahlen kann der 76-Jährige derzeit also überhaupt nicht brauchen. Er weiß nicht einmal, was er mit sich selbst und seinem „Volk der Freiheit“ anstellen soll: Etliche PDL-Größen fordern bereits die Auflösung der „nicht mehr präsentablen“ Partei und eine „saubere, auf ethischen Werten basierende Neugründung“. Paul Kreiner

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