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Tempelanlagen von Hiraizumi, die seit 2011 zum Unesco-Weltkulturerbe gehören.

© Priscilla Jebaraj

Ein Jahr nach Fukushima: Das Japan jenseits der Katastrophe

Japans Regierung will die Ereignisse des vergangenen Jahres aufarbeiten und hat Journalisten aus aller Welt zu einer Rundreise eingeladen. Sie will aber auch ein Japan jenseits der Katastrophe zeigen, zum Beispiel die Tempelanlagen von Hiraizumi.

Die Katastrophe des vergangenen Jahres hat Japan in eine tiefe Krise gestürzt. Probleme hatte das Land aber schon vor dem 11. März 2011, als das schwerste jemals gemessene Erdbeben das Land erschütterte und eine riesige Flutwelle auslöste. Japans Wirtschaft schwächelt seit langem, die internationale Bedeutung des Landes nimmt rapide ab. China hat den Rivalen vor zwei Jahren von Platz zwei der Liste der stärksten Wirtschaftsnationen verdrängt, und auch die Koreaner holen auf. Die bauen inzwischen ebenfalls solide Autos und  Elektrogeräte – nur deutlich billiger.

Die Japaner müssen sich also nach neuen Einnahmequellen umsehen. Eine haben sie bereits entdeckt: den Tourismus. Der trägt bisher knapp sechs Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und hat Potenzial für mehr, glaubt die Regierung. Allein einheimische Touristen könnten das Geschäft deutlich beleben, erklärt ein Vertreter der staatlichen Tourismusagentur. Schließlich geht gerade die Baby-Boomer-Generation – fit und wohlhabend – in Rente. Doch auch von einer besseren „Work-Life-Balance“ für die Jungen ist die Rede.

Was es damit auf sich hat? Das Bild junger Japaner mit wilden Klamotten, wilden Haaren und einer Vorliebe für wilde Punkmusik kann leicht darüber hinwegtäuschen, dass Japans Jugend unter einem enormen Leistungsdruck steht. Der beginnt in der Schule und hört später im Beruf nicht auf. Im Gegenteil: Karoshi, Tod durch Erschöpfung, war in Japan schon ein Thema, als Burn-Out in Deutschland noch zu den Fremdwörtern zählte. Manche Berufsanfänger tragen zum Anzug zwar noch ein paar Jahre lang gewagte Frisuren, doch am Ende ordnen sich die meisten dem gnadenlosen japanischen Arbeitsethos dann doch voll und ganz unter. Im Gegensatz zu ihren Eltern leben sie allerdings in ständiger Angst um ihren Arbeitsplatz. Das erhöht den Druck zusätzlich. Es gibt immer mehr, die sich dem nicht gewachsen fühlen. Hikikomori nennt man sie – junge Leute, die noch zu Hause wohnen und sich dort über Jahre hinweg in ihrem Zimmer verschanzen. Sie gehen nicht vor die Tür, sprechen kaum noch und kommunizieren allenfalls über das Internet mit der Außenwelt.

Ulrike Scheffer
Ulrike Scheffer

© Tsp

Die japanisch-österreichische Schriftstellerin Milena Michiko Flasar hat über einen solchen Hikikomori gerade einen einfühlsamen Roman geschrieben. „Ich nannte ihn Krawatte“, heißt er. Im Anhang schreibt die Autorin, dass es in Japan zwischen 100.000 und 300.000  Hikikomori gibt. Eine genaue Zahl gibt es offenbar  nicht, denn die meisten Eltern schämen sich für den vermeintlichen Versager in der Familie und erzählen Freunden und Nachbarn, der Sohn oder die Tochter studiere jetzt im Ausland.

Mit einer Tourismusoffensive wird sich dieses Problem nicht lösen lassen. Aber das behauptet auch niemand in Japan.

Ausländische Touristen sollen natürlich ebenfalls für Japan begeistert werden. Vor allem für die Kulturschätze des Landes. Nicht ohne Stolz präsentieren die Japaner die Tempel- und Gartenanlagen von Hiraizumi nahe Ichinoseki, im Norden der Hauptinsel Honshu. Die Unesco hat sie im vergangenen Jahr zum Weltkulturerbe erklärt. Vom Erdbeben blieben sie im Gegensatz zu vielen umliegenden Städten weitgehend verschont, dennoch kamen im vergangenen Jahr kaum Besucher hierher. Nun wird aufgerüstet, mit neuen Hotels und vielem mehr. Und damit sich auch Touristen aus dem tiefsten Prenzlauer Berg wohl fühlen, haben die lokalen Tourismuswerber Leihfahrräder aufgestellt und sogar einen Stillraum für Mütter eingerichtet.

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