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Politik: Ein kleiner Denkzettel

Favoritin Rousseff verfehlt in Brasilien die absolute Mehrheit / Grüne Marina Silva überraschend stark

Die Präsidentschaft in Brasilien wird in einer Stichwahl entschieden werden. Nach Auszählung von 93 Prozent der Stimmen erhielt die Favoritin und designierte Nachfolgerin von Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva, Dilma Rousseff, knapp 46 Prozent, während ihr Herausforderer, der sozialdemokratische Ex-Minister und Ex-Gouverneur José Serra, 33 Prozent erhielt. Beide müssen somit Ende Oktober in eine Stichwahl.

Die eigentliche Überraschung lieferte die Drittplatzierte, die grüne Ex-Umweltministerin Marina Silva, für die knapp 20 Prozent der Wähler stimmten, und damit gut fünf Prozent mehr, als ihr in den Umfragen vorausgesagt worden waren. In der Hauptstadt Brasilia lag Silva sogar vor den beiden Favoriten. Sie steht für ein eindeutig linkeres Profil als die Technokratin Rousseff und dürfte vor allem den harten ideologischen Kern von Lulas Arbeiterpartei (PT) abgeworben haben, der in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik an der als zu neoliberal empfundenen Wirtschaftspolitik geäußert hatte.

Das Ergebnis ist damit ein kleiner Denkzettel für Lula, der auf einen Wahlsieg seiner Kandidatin in der ersten Runde gehofft hatte. Es zeigt nicht nur die Enttäuschung einer recht großen Zielgruppe seiner Wählerschaft, sondern ist auch ein Signal, dass sein Charisma nur bedingt übertragbar ist, und die Wähler Rousseff keinen Blankoscheck ausstellen wollen. Ein kürzlich enthüllter Korruptionsskandal in den Reihen der Regierung dürfte Rousseff zusätzlich Stimmen gekostet haben.

Besonders gut abgeschnitten hat Rousseff wie erwartet im Nordosten des Landes, wo die Sozialhilfeprogramme Lulas besonders erfolgreich waren. In den acht Jahren Amtszeit Lulas konnten 20 Millionen Brasilianer die Armut hinter sich lassen. Im industriellen Süden hingegen – der Hochburg des aus São Paulo stammenden Serra – lag Lulas Kronprinzessin fast überall hinter Serra. „Nicht die Umfragen haben gesiegt, sondern das Volk“, rief Serra seinen Anhängern in der Nacht zum Montag zu. Gegenüber Rousseff hat er einen Vorteil: Er weiß, wie es im zweiten Wahlgang zugeht. Schon 2002 schaffte er es in die Stichwahl.

Rousseff hatte sich schon im Laufe des Wahltags verhalten gegeben und die Möglichkeit einer zweiten Runde nicht ausschließen wollen. „Wer in einem guten Kampf vorne liegt, gewinnt, egal ob in der ersten oder zweiten Runde“, sagte sie bei der Stimmabgabe in Porto Alegre. Auch Lula selbst dämpfte die Erwartungen am Wahltag. Nach der Stimmabgabe sagte er: „Ich habe auch nicht im ersten Wahlgang gewonnen, weder 2002 noch 2006.“ Rousseff geht als klare Favoritin in die Stichwahl. Rousseff sagte vor enttäuschten Anhängern in der Hauptstadt Brasilia, sie werde „mit Mut und Energie“ in die Stichwahl gehen. Sie hofft, einen Großteil der Stimmen der Drittplatzierten Silva für sich gewinnen zu können. Allerdings ging auch Serra hinter den Kulissen schon auf Tuchfühlung zu den Grünen. Rousseff und Silva kennen sich aus der gemeinsamen Regierungsarbeit. Silva war Umweltministerin und warf 2008 aus Enttäuschung über Lulas Umweltpolitik das Handtuch. Ein Jahr später verließ sie auch dessen Arbeiterpartei. Während ihrer Ministerzeit geriet sie auch mit Rousseff öfter aneinander, denn Rousseff war für die Energiepolitik zuständig. Die Grünen jedenfalls feierten ihre Kandidatin als Siegerin. Dass Silva eine förmliche Allianz mit einem der beiden eingeht, gilt als unwahrscheinlich. „Ich bin Teil einer Bewegung der Zivilgesellschaft, die viel größer ist als unsere Partei“, sagte sie.

Die Parlaments- und Gouverneurswahlen in den 27 brasilianischen Bundesstaaten konnte Lulas Mitte-Links-Regierungskoalition für sich entscheiden. Die oppositionellen Sozialdemokraten setzten sich erneut in ihren Hochburgen São Paulo und Minas Gerais durch. Insgesamt waren am Sonntag knapp 136 Millionen Brasilianer wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag bei 82 Prozent. Der regnerische Wahltag verlief nach Angaben des Obersten Wahlgerichtes friedlich, wenngleich vereinzelt Stimmenkauf, nicht autorisierte Nachwahlbefragungen und illegale Wahlkampfpropaganda registriert wurden. Mit einem Rekordergebnis ist ein als „Clown Tiririca“ bekannter Komiker zum Abgeordneten des Bundesstaates São Paulo gewählt worden. Nach offiziellen Angaben folgten 1,2 Millionen Wähler seiner Aufforderung „Wählt Tiririca, schlimmer als bisher kann es nicht werden“. Der 45-jährige Clown, der eigentlich Francisco Oliveira heißt, gewann landesweit die meisten Stimmen. Allerdings ist sein Sieg nicht ungetrübt, denn Oliveira sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, Steuern hinterzogen zu haben. Außerdem soll er nicht lesen und schreiben können, was seine Wahl ungültig machen würde. mit dpa/epd/AFP

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