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Ein Flüchtlingszug mit vertriebenen Sudentendeutschen trifft im Durchgangslager Wiesau ein. Lange hat man in Tschechien geschwiegen über das, was nach dem Zweiten Weltkrieg geschah.

© dpa

Tschechien: Ein Meilenstein: Brünn erinnert an Vertreibung

Im tschechischen Brünn wird erstmals mit einem Marsch an die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Das ist ein bemerkenswerter Vorstoß, denn er rührt an ein Tabuthema - entsprechend heftig wird die Aktion diskutiert.

„Am Anfang haben wir nicht geahnt, was für eine Lawine wir auslösen“, sagt Ondrej Liska rückblickend. 15 Jahre ist es her, dass der Tscheche als Student mit einigen Freunden ein Tabuthema anfasste: In einem Brief appellierten die jungen Brünner an ihre Heimatstadt, sich vom sogenannten Todesmarsch zu distanzieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 20.000 Deutschsprachige aus der Stadt getrieben, etwa 1700 Menschen fielen der Aktion zum Opfer. Damals löste die Studenten-Initiative noch eine hitzige Kontroverse aus. Jetzt, zum 70. Jahrestag des Geschehens, hat die Stadt ein offizielles Dokument verabschiedet, in dem sie ihr Bedauern über das Leid äußert.

In Tschechien gilt diese Deklaration als ein Meilenstein. Noch immer ist der Blick in die Vergangenheit ein politisch heikles Thema. Die Angst, dass die Vertriebenen ihre Häuser zurückfordern könnten, wurde vom kommunistischen Regime über Jahrzehnte geschürt und sitzt bei vielen Tschechen immer noch tief. Die Erklärung der Stadt Brünn ist jetzt daher ein weiterer Schritt auf dem Weg der Versöhnung.

Dass sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer vor einigen Jahren in Tschechien an Orten der Nazi-Gräueltaten vor den Opfern symbolisch verneigte und anschließend der damalige Prager Premierminister Petr Necas im Münchner Landtag eine wegweisende Rede gehalten hat, brachte frischen Wind in die deutsch-tschechischen Beziehungen – Bayern als Zufluchtsort vieler Sudetendeutscher tat sich mit dem Kontakt nach Tschechien lange Zeit schwer.

Bemerkenswert ist der Brünner Vorstoß aber noch in einer anderen Hinsicht: Die Stadtväter belassen es nicht bei der Deklaration, sondern veranstalten einen Gedenkmarsch. Am Samstag laufen die Teilnehmer 30 Kilometer vom kleinen Ort Pohorelice nach Brünn – sie nehmen damit die umgekehrte Strecke, auf der vor 70 Jahren viele Sudetendeutsche vor Erschöpfung gestorben oder von Milizen erschossen worden sind.

"Ich bin froh, dass Brünn den Mut gefunden hat, erstmals in seiner Geschichte in dieser Form sein Bedauern auszudrücken“, sagt Oberbürgermeister Jan Vokral. Für ihn bedeutete der Schritt durchaus ein politisches Risiko. Die in Tschechien immer noch einflussreichen Kommunisten stimmten vehement dagegen, Sozialdemokraten und die konservativen Bürgerdemokraten nahmen an der Abstimmung demonstrativ nicht teil. Auch der einflussreiche mährische Hejtman Michal Hasek, vergleichbar einem Landrat, äußerte sein Bedauern über die Erklärung. Zudem sollten sich die Deutschen zuerst entschuldigen.

Tatsächlich steht die Frage nach der Schuld im Zentrum der tschechischen Debatte. Die Brünner Deklaration geht auch auf dieses Thema ein: „Wir sind uns sehr bewusst, dass das nazistische Regime unvergleichlich größere Verbrechen begangen hat. Zugleich halten wir uns vor Augen, dass Leid Leid bleibt – wer auch immer der Verursacher ist und zu welcher Zeit auch immer es stattfindet“, heißt es darin.

Als er für eine Versöhnung mit den Opfern von einst eingetreten sei, hätten ihm viele unterstellt, er werde von Deutschland oder Österreich bezahlt, erinnert sich Ondrej Liska, der heute in Tschechien ein namhafter Politiker ist. Es sei daher ein großer Schritt, dass die junge Generation von heute anders auf die Ereignisse blicke. „Sie bleiben so nicht mehr schwarz-weiß.“

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