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Politik: Ein Zar, der keiner sein will

Der ukrainische Präsident Kutschma will nun doch nicht wieder antreten

Zur Abwechslung mimt der umstrittene Präsident der Ukraine den Demokraten. „Die Ukraine ist nicht Russland – und wir hatten noch niemals einen Zaren," begründete Staatschef Leonid Kutschma seinen überraschenden Verzicht auf eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst. Der vermeintlichen Wandlung ließ der 65-Jährige in dieser Woche noch eine Kehrtwende bei der von ihm anvisierten Verfassungsänderung folgen, nach der der Staatschef künftig nicht mehr per Direktwahl, sondern vom Parlament gekürt werden sollte. Nach heftigen Protesten gegen den „Verfassungsputsch" stimmten seine parlamentarischen Hilfstruppen am Dienstag nun doch für die Beibehaltung der direkten Präsidentenwahl.

Ende Dezember schien das ukrainische Verfassungsgericht den Weg für eine dritte Amtszeit des in zahlreiche Skandale verwickelten Kutschma bereits freigemacht zu haben: Obwohl der Präsident laut Verfassung nach zwei Amtsperioden aus dem Amt zu scheiden hat, wollte das Gericht dem seit 1994 amtierenden Staatschef eine dritte gewähren. Kutschmas gleichzeitige Bemühungen, die Verfassung zu ändern, hatten nicht nur bei der Opposition die Befürchtung genährt, dass der Präsident seine Amtszeit noch einmal verlängern wolle, um dann im Parlament einen ihm genehmen Nachfolger durchzusetzen.

Weniger die Proteste der Opposition als starker Druck aus dem Ausland haben Kutschma nun offenbar zum Einlenken bewegt. Nach der Warnung des deutschen, französischen und amerikanischen Botschafters vor einem Ende der Annäherung an EU und Nato hatte der Europarat vergangene Woche an Kiew eine letzte Warnung gerichtet: Wenn die Ukraine an der Verfassungsänderung festhalte, drohe das Ende der Mitgliedschaft.

Dass die Ukraine so deutlich auf Druck aus dem Westen reagierte, werten Diplomaten in Kiew als „positives Zeichen". Doch auch Moskau gab Kutschma zu verstehen, an einer verlängerten Amtszeit des Skandal-Präsidenten kein Interesse zu haben.

In Kiew wird nun vor allem darüber gerätselt, wen der Staatschef nun zu seinem Kronprinzen küren wird. „Ganz sicher weiß man nie, welche Karten Kutschma noch aus dem Ärmel schüttelt", umschreibt ein politischer Beobachter die Situation.

Thomas Roser[Warschau]

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