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Jens Spahn bei einem Kabinettstreffen Ende März 2018.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Jens Spahn und Hartz IV: Eine sinnlose Armutsshow

Warum es Hartz-IV-Empfängern nichts bringt, wenn Jens Spahn einen Monat lang lebt wie sie - und was besser wäre. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Sollte ein Politiker einmal einen Monat lang von Hartz IV gelebt haben, bevor er sich zum Thema Armut äußert? So lautete der Vorschlag einer 40-jährigen Hartz-IV-Empfängerin für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Der hatte gesagt, mit Hartz IV zu leben bedeute nicht, arm zu sein. 165 000 Unterschriften wurden gesammelt, um ihn in das Experiment zu zwingen. Mag sein, dass es Spahn guttäte, einmal von wenig Geld zu leben. Doch eine Illusion sollten sich die Petenten gleich abschminken: Politiker werden keine besseren Entscheidungen treffen, wenn sie sich für ein paar Tage in einen Hartz-IV-Haushalt beamen. Hunger Games helfen keinem.

Jens Spahn auf Hartz IV? Ein Arzt macht ja auch keine Chemotherapie

Niemand käme auf die Idee, einem Arzt eine Chemotherapie zuzumuten, bevor er Krebspatienten behandeln darf. Kaum jemand erwartet vom Trainer eines Bundesligaclubs, dass er selbst die Tore schießt. Im Gegenteil: Bürger, Fußballfans und Patienten müssen auf die Distanz und Weitsichtigkeit derer vertrauen können, die Entscheidungen für sie treffen.

Echte Armut unterscheidet sich von der Teilzeit-Armut eines Politikers durch die Perspektive. Ein privilegierter, gesunder, junger, gebildeter Mann kann ohne Probleme einen Monat lang Linsensuppe und Kartoffeln kochen. Er weiß ja, dass danach wieder Austern auf dem Speiseplan stehen. Hartz-IV-Empfänger haben diese Aussichten nicht.

Um ihre Lage zu ändern, müssen Hartz-IV-Empfänger selbst in die Politik gehen

In der Politik geht es um Repräsentanz: Sind Politiker „einer von uns“? Oder werden sie eher als Aristokraten wahrgenommen, die – wie einst Frankreichs Königin Marie Antoinette – dem Volk zu Kuchen raten, wenn das Brot knapp ist? Gerade in bildungsfernen Milieus ist es Wählern wichtig, dass Politiker einen ähnlichen Erfahrungshorizont haben wie sie selbst, hat die Frankfurter Soziologin Sigrid Roßteutscher herausgefunden. Doch die Kandidaten sind meist das Gegenteil davon. Die Folge: Langzeitarbeitslose fühlen sich in der Politik nicht repräsentiert. Sie sind es auch nicht.

Um das zu ändern, müssen sie selbst in die Politik gehen. Und die politischen Parteien müssten ihnen die Türe aufhalten. Das ist für sie viel härter als ein Monat Hartz IV.

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