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Politik: Einer sollte es machen – oder auch nicht Verfassung, Kanzlerwahl und mögliche Neuwahlen

Berlin - Wer mit wem? – die politisch wichtigste Frage, welche Parteien im Bundestag zu einer Regierungskoalition zusammenfinden könnten, interessiert das Grundgesetz gerade nicht.

Berlin - Wer mit wem? – die politisch wichtigste Frage, welche Parteien im Bundestag zu einer Regierungskoalition zusammenfinden könnten, interessiert das Grundgesetz gerade nicht. Das Zusammentreten des Bundestags und die anschließende Regierungsbildung regelt es fern parteitaktischer Optionen und im Sinne seines liberal-repräsentativen Charakters: Der Abgeordnete als Volksvertreter ist es, der das Geschehen maßgeblich in den Händen halten soll.

Entsprechend sind die Fristen ausgestaltet. Der neue Bundestag „tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen“, heißt es in Artikel 39 der Verfassung. Bis zum 18.Oktober gibt es also ein neues Parlament, meistens schaffen es die Abgeordneten in einer kürzeren Frist, denn es gibt nicht viel mehr zu tun, als die Annahme der Wahl zu erklären. Eine Vorschrift, wann die Kanzlerwahl stattzufinden hat, fehlt dagegen. Das ist Sache des politischen Prozesses und der Koalitionsverhandlungen, deren Dauer schlecht vorausgesagt werden kann. Eine Regierung „steht“, wenn die Minister vereidigt sind. 1961 waren es von der Wahl bis zu diesem Zeitpunkt sogar 58 Tage.

Zuvor legt der Bundeswahlleiter die Sitzung des Bundeswahlausschusses fest. Der bestimmt das endgültige Ergebnis. Dann ist der Weg frei für die konstituierende Sitzung des Parlaments. Mit dem Zusammentreten des neuen Bundestags endet zugleich die Legislaturperiode des alten und damit auch die Amtszeit des bisherigen Kanzlers. Der Bundespräsident bestellt ihn dennoch regelmäßig zum geschäftsführenden Kanzler bis ein neuer ernannt ist. Der nunmehr auch nicht mehr amtierende Bundestagspräsident wird die erste Sitzung einberufen, aber wohl nicht mehr leiten. Das ist Aufgabe des Alterspräsidenten bis zur Wahl eines Nachfolgers.

Erst beim zweiten Termin nach der konstituierenden Sitzung wählen die Abgeordneten dann die neue Regierung. Förmlich geht es dabei nur um den Bundeskanzler, er wird „auf Vorschlag des Bundespräsidenten ohne Aussprache“ gewählt. Theoretisch kann der Präsident dafür jeden Deutschen über 18 Jahre vorschlagen. Einen „Kanzlerkandidaten“ kennt das Grundgesetz nicht. Von Verfassungs wegen stünde es dem Präsidenten sogar frei, sich mit einem Vorschlag in die Koalitionsverhandlungen einzumischen. Tatsächlich aber orientiert er sich an der zu erwartenden Mehrheit.

Dann kommt es zur Kanzlerwahl, die auch eine verfassungsrechtliche Pflicht des Bundestags ist, da es – abgesehen vom „Geschäftsführer“ – keinen Regierungschef mehr gibt. „Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigt“, heißt es im Grundgesetz. Das ist die so genannte Kanzlermehrheit, die absolute Mehrheit, die von der relativen Mehrheit der abgegebenen Stimmen unterschieden wird.

Doch wie klar werden die benötigten Mehrheiten sein? Koalitionsabsprachen binden die Abgeordneten nicht, jedenfalls nicht im rechtlichen Sinn. Die Kanzlerwahl ist der erste Test, wie belastbar sie wirklich sind. Auf diese unsichere Situation nimmt das Grundgesetz Rücksicht, indem es mehrere Wahlphasen vorsieht. Zunächst wird nur über den Präsidenten-Vorschlag abgestimmt. Verfehlt der Kandidat die absolute Mehrheit, soll in der zweiten Phase binnen 14 Tagen ein anderer Kandidat gewählt werden, wobei nun auch der Bundestag Vorschläge machen darf. Gelingt auch diese Wahl trotz mehrerer möglicher Versuche nicht, beginnt die dritte Phase. Ein Kanzler muss „unverzüglich“ neu gewählt werden. Jetzt genügt die relative Mehrheit. Am Ende muss der Bundespräsident den gewählten „Minderheitskanzler“ ernennen – oder er löst binnen sieben Tagen das Parlament auf und leitet Neuwahlen ein.

Das Grundgesetz will stabile Verhältnisse, deshalb dringt es auf die Wahl eines Kanzlers, selbst wenn dieser im Parlament wenig Rückhalt hat. Fehlender Rückhalt kann allerdings auch etwas sein, das die Gestaltungsmöglichkeiten eines Kanzlers erweitert: Er kann dann die Vertrauensfrage stellen, scheitern – und alles geht wieder von vorne los.

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