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Politik: „Einige rochen nach dem Westen“

Heinz Engelhardt, letzter Stasi-Chef, hielt in seinem Büro die Stellung

Als die Leute von „Stern TV“ am späten Abend des 15. Januar 1990 sein Büro entdecken, ist schon alles vorbei. Heinz Engelhardt, damaliger Chef der Stasi, die seit Dezember 1989 Verfassungsschutz heißt, lächelt etwas unsicher ins Kameralicht. Er sei ja nur hier, um „die Konkursmasse zu verwalten“. Der erfahrene Generalmajor wirkt wie ein harmloser Zivilbeamter, dem man eine unmögliche Aufgabe erteilt hat. So einen braucht das Volk nicht aus dem Amt zu jagen. „Der Mielke sitzt ja“, sagt Engelhardt ganz volksnah. Wozu sich noch aufregen?

Der 15. Januar 1990 werde mystifiziert und dramatisiert, sagt Engelhardt heute. Von einem „Sturm auf die Stasi-Zentrale“ habe er nichts bemerkt. „Die Bereitschaftspolizei hat ohne Absprache die Tore geöffnet. Damit hatten wir aber insgeheim gerechnet. Es herrschte ja überall Anarchie auf den Straßen.“ Nur nicht in der Stasi-Zentrale. Dort wurde laut Engelhardt streng nach Vorschrift abgewickelt. „Wir haben jeden Tag hunderte Mitarbeiter entlassen und versucht, sie im zivilen Leben unterzubringen.“

Dass die Stasi Provokateure einsetzte, um die Lage eskalieren zu lassen oder den Sturm auf die eigene Zentrale in der Normannenstraße sogar selbst anzettelte, verweist Engelhardt ins Reich der Legenden. „Die Stasi war damals nicht mehr arbeitsfähig.“ An dem besagten Tag seien fast alle Mitarbeiter zum eigenen Schutz nach Hause geschickt worden. „Niemand wusste, was passieren würde. Wir hatten den Ungarnaufstand 1956 vor Augen. Damals wurden Geheimdienstleute erschlagen oder aufgehängt.“

Engelhardt hielt als guter Kommandant die Stellung. „So ein ängstlicher Typ bin ich nicht. Wir waren ja Militärs. Da hat man seine Gefühle im Griff.“ Ihre Waffen hätten die Stasi-Offiziere damals schon abgegeben. Seine eigene habe im Panzerschrank im Büro gelegen. Als die Demonstranten vor seinem Schreibtisch standen, hätten sie viele Fragen gehabt. „Einige haben was geklaut“, aber niemand wurde gewalttätig. „Es waren ganz normale Leute, Querschnitt der DDR-Bevölkerung. Einige rochen nach Alkohol, andere nach dem Westen.“

Irgendwann nach Mitternacht kam auch der Bürgerrechtler Wolfgang Templin in Engelhardts Büro. Man trank zusammen Wodka und Kaffee. „Wir haben uns gut verstanden.“ Am nächsten Morgen rief Engelhardt in der Polizeileitung an und bedankte sich sarkastisch für die gute Unterstützung.

Wie er sich gefühlt hat damals? „Beschissen“, lautet die knappe Antwort. Allerdings weniger wegen des unangemeldeten Besuchs. „Wir wurden völlig allein gelassen von der Staatsführung. Es hat sich niemand bei uns gemeldet.“ Das Gefühl, von der eigenen Regierung verraten worden zu sein, sitzt tief. „Wir waren die Buhmänner und Blitzableiter.“

Engelhardt kam 1962 gleich nach dem Abitur zur Stasi. Er stieg bis zum Leiter der Stasi-Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder) auf. Im Dezember 1990 wurde er quasi der letzte Stasi-Chef. „Ich war mit 45 Jahren der Jüngste damals.“ Die Staatssicherheit war inzwischen in „Amt für Nationale Sicherheit“ (AfNS) umbenannt. Engelhardt sollte einen modernen Verfassungsschutz aufbauen, aber zu mehr als der Namensumbenennung kam es nicht mehr.

Heinz Engelhardt war am 15. Januar 1990 Leiter des Amtes für Verfassungsschutz, Nachfolgeeinrichtung von MfS und AfNS. Der 60-Jährige arbeitet heute in einem Reisebüro in Berlin.

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