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Das Vorgehen des Goethe-Instituts sorgt für Kritik.

© dpa / Kay Nietfeld

„Inakzeptabel und respektlos“: Veranstaltung des Goethe-Instituts sorgt in Israel für Empörung

Ist es erlaubt, gleichzeitig an den Holocaust und die Vertreibung der Palästinenser zu erinnern? Eine Veranstaltung in Tel Aviv ist heftig umstritten.

Von Hans Monath

In den Streit um eine Veranstaltung des Goethe-Instituts und der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv zur Erinnerung an den Holocaust und die Vertreibung von Hunderttausenden Palästinensern aus ihren Wohnorten in den Jahren 1947/48 durch jüdische Kämpfer hat sich nach Informationen des Tagesspiegels nun auch das Auswärtige Amt in Berlin eingeschaltet.

Letztlich werde dort entschieden, ob die umstrittene Debatte nun wie geplant am Sonntag stattfinde, hieß es aus einer der beteiligten Organisationen. Auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) bezog in dem Konflikt nun Position.  

DIG-Präsident Volker Beck forderte das Goethe-Institut in einem dem Tagesspiegel vorliegenden Schreiben auf, „die Veranstaltung nicht unverändert so durchzuführen“. Der Leiter der Gedenkstätte Anne Frank, Meron Mendel, verteidigte die Veranstaltung im Grundsatz.

Goethe-Institut und Rosa-Luxemburg-Stiftung hatten die Debatte unter dem Titel „Holocaust, Nakba und deutsche Erinnerungskultur“ ursprünglich für den Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938, den 9. November, vorgesehen, nach heftigen Protesten aber verschoben und ihr Bedauern über die Empörung ausgedrückt. Mit Nakba (Katastrophe) bezeichnen die Palästinenser die Staatsgründung Israels und die damit verbundene Vertreibung von Palästinensern.

Nach Angaben des palästinensischen zentralen Statistikbüros hatte die Nakba eine Vertreibung von 800.000 der ursprünglich 1,4 Millionen Palästinenser im historischen Palästina zur Folge.

Das israelische Außenministerium hatte eine Absage der Veranstaltung gefordert und sich in einer Erklärung „schockiert und empört“ gezeigt über „die eklatante Verharmlosung des Holocaust und den zynischen und manipulativen Versuch, eine Verbindung herzustellen, deren einziger Zweck es ist, Israel zu diffamieren“.

Israelischer Botschafter in Deutschland kritisiert Goethe-Institut

Auch der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, und der Vorsitzende der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan, äußerten Kritik. Am Gedenktag an die Novemberpogrome hätten „das Goethe-Institut und die Rosa-Luxemburg-Stiftung beschlossen, die Erinnerung an den Holocaust zu verharmlosen“, so Prosor auf Twitter.

Dies sei „inakzeptabel und respektlos“. Von „unverzeihlichem Verhalten“ und einer „unerträglichen Verzerrung des Holocaust“ sprach Dayan in einem Tweet. Prosor verlangte auch nach der Verschiebung der Veranstaltung deren Absage.

Velangt die Absage der umstrittenen Veranstaltung in Tel Aviv: Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor.

© AFP / Jens Schlueter

Die DIG begrüßte in ihrem Schreiben an das Goethe-Institut, dass die Veranstaltung nicht am 9. November stattgefunden hatte. „Mit der Absage am Gedenktag für die Novemberpogrome ist der Provokation zwar die Monstrosität genommen. Allerdings an der fatalen einseitigen inhaltlichen Ausrichtung der Veranstaltung ändert das freilich nichts“, schrieb DIG-Präsident Beck.

„Die Relativierung der Shoah bleibt bei dem unveränderten Setting erhalten“, kritisierte der DIG-Präsident. Sie werde in dem Titel „Holocaust, Nakba und deutsche Erinnerungskultur, Den Schmerz der Anderen begreifen“ seiner Meinung nach „authentisch ausgedrückt“.

Kritik an Buch von Charlotte Wiedemann

Bei der Veranstaltung sollen die deutsche Autorin und Journalistin Charlotte Wiedemann mit dem Politologen Bashir Bashir und dem Historiker und Holocaust-Forschers Amos Goldberg debattieren. Wiedemann ist Autorin des in diesem Jahr erschienenen Buches „Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis“.

Sie spricht sich darin laut Veranstaltungsankündigung „für ein neues empathisches Erinnern“ aus, „das verschiedenen Seiten gerecht wird und Solidarität statt Opferkonkurrenz fördert“.

DIG-Präsident Beck kritisierte Wiedemanns Buch. Es wende sich „gegen einen vermeintlichen ,Missbrauch der Shoah‘ zur ,Degradierung anderer Leiden‘“, erklärte er. Kritik übte Beck auch an den Wissenschaftlern Baschir und Goldberg, denen er vorwarf, sie wendeten sich gegen die „Arbeitsdefinition von Antisemitismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA).

Es war offensichtlich unsensibel, diese Veranstaltung ausgerechnet an diesem symbolischen Datum des 9. Novembers anzusetzen.

Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank

Meron Mendel, Professor für Soziale Arbeit und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, verteidigte die Veranstaltung im Grundsatz, übte aber Kritik am ursprünglichen Datum. „Es war offensichtlich unsensibel, diese Veranstaltung ausgerechnet an diesem symbolischen Datum des 9. Novembers anzusetzen. Wenn es kein Zufall war, frage ich mich, welche verdeckte Botschaft damit transportieren sollte“, sagte er dem Tagesspiegel.

Die Leitung des von Annalena Baerbock (Grüne) geführten Auswärtigen Amtes hat sich in den Streit eingemischt, den politischer Schaden droht.

© dpa / Bernd von Jutrczenka

Es sei aber „richtig, dass diese Veranstaltung stattfindet, ich freue mich darüber“, sagte der Fachmann für Gedenkkultur. Er halte weder die Positionen der Autorin Charlotte Wiedemann noch die des Politologen Bashir Bashir oder des Historikers und Holocaust-Forschers Amos Goldberg für gefährlich, auch wenn er sie nicht alle teile.

„Bashir und Goldberg bemühen sich seit Jahren darum, mit jüdischen und arabischen Jugendlichen Erinnerungsarbeit zu machen, die sowohl den Holocaust als auch die Nakba einschließt“, meinte Mendel. „Das schafft Empathie von beiden Seiten.“

Zur Kritik am Vorhaben, nicht nur die Erinnerung an den Holocaust, sondern auch den an die Nakba zu debattieren, meinte der Gedenkstätten-Direktor: „Vergleich ist eine wissenschaftliche Methode, die Erkenntnis bringen kann. Vergleichen heißt nicht Gleichsetzen, man kann auch Unterschiede feststellen. Die Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden Palästinensern 1948 ist natürlich nicht gleichzusetzen mit der industriellen Massenvernichtung von Juden im Nationalsozialismus.“

Weiter sagte Mendel: „Im Streit um Antisemitismus etwa bei der Documenta oder im sogenannte Historikerstreit 2.0 arbeiten beide Seiten mit der Delegitimierung der jeweils anderen Position und nennen sie gefährlich. Das bringt die Debatte nicht weiter. Der Historikerstreit 1986 brachte ja nicht dadurch Fortschritte, dass die Position des jeweils anderen beschwiegen wurde, sondern dadurch, dass die Argumente intensiv ausgetauscht wurden und die besseren sich durchsetzten.“

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