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Georgi Markov

© dpa

England: War der Regenschirmmord gar keiner?

An einer Londoner Bushaltestelle soll dem bulgarischen Schriftsteller Georgi Markov vor 30 Jahren ein tödliches Gift mit einem Regenschirmstich verabreicht worden sein. Jetzt wollen bulgarische Kriminalisten die Ermittlungen einstellen - Scotland Yard dagegen nicht.

Am Abend des 7. September 1978 wartet der bulgarische Schriftsteller Georgi Markov an der Londoner Waterloo Bridge auf den Bus, als er einen stechenden Schmerz am rechten Oberschenkel verspürt. Er dreht sich um und gewahrt einen Mann, der sich bückt, um einen Regenschirm aufzuheben, leise „Sorry!“ murmelt und davoneilt, um mit einem Taxi zu verschwinden. Wenige Stunden später bekommt Georgi Markov Fieber und stirbt am 11. September an den Folgen einer Rizinvergiftung, die ihm mittels Injektion eines mikroskopisch kleinen Metallkügelchens zugefügt worden war.

Nach Ansicht vieler bulgarischer Kriminalisten gibt es keine Beweise für den Mord an Georgi Markov, und das Ermittlungsverfahren sei nach Ablauf der dreißigjährigen Verjährungsfrist einzustellen. Damit zeigen sich aber ihre englischen Kollegen von Scotland Yard, die sich seit langem vergebens um bulgarische Amtshilfe bemühten, nicht einverstanden. Sie wollen weiter ermitteln und versprechen sich neue Erkenntnisse aus der Einsicht in ihnen bisher vorenthaltene Akten, die der bulgarische Journalist Hristo Hristov im Juni einsehen konnte.

Bereits im Jahr 2005 veröffentlichte Hristov sein Buch „Tötet Skitnik (Wanderer)“ zum Mord an dem als Staatsfeind Nr. 1 geltenden Dissidenten Georgi Markov. Danach stritt Hristov mit den bulgarischen Behörden drei Jahre vor Gericht, bis ihm im Juni 2008 Zugang zu Aktenbeständen der Ersten Hauptabteilung der bulgarischen Staatssicherheit gewährt wurde, wo er das Dossier des Agenten „Picadilly“ fand.

Als „Picadilly“ führte die bulgarische Staatssicherheit den in Turin geborenen Dänen Francesco Gulino. In derzeit vorabgedruckten Auszügen seines Buches „Das Doppelleben des Agenten Picadilly“ beschreibt Hristov, wie Franceso Gulino vom bulgarischen Geheimdienst im Frühjahr 1978 zunächst geschult und danach vier Mal nach London entsandt wurde. Am Tag nach dem Mord an Markov verließ „Picadilly“ England für immer und wurde von den Bulgaren für seine „Verdienste um die Sicherheit“ mit Orden, Urlaubsreisen und Geldzahlungen belohnt. Zwar lassen die – nach Hristovs Einschätzung ihm gesäubert vorgelegten Aktenbestände – den Beweis von Gulinos Täterschaft nicht zu, doch belegen sie seine Verwicklung in den Fall. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt.

Hristov kritisiert die bulgarischen Ermittlungsbemühungen als nicht angemessen und hält es deshalb nicht für entscheidend, ob der Fall in Bulgarien wegen Verjährung eingestellt wird. „Für wichtiger halte ich, dass Scotland Yard, das seit Mai 2008 von den bulgarischen Behörden Akteneinsicht verlangt, diese endlich bekommt, und auf dieser Basis nach Francesco Gulino alias Agent Piccadilly fahnden kann“, sagt Hristov. „Die von mir nach dreijährigem Rechtsstreit eingesehenen Akten existierten in dem bulgarischen Ermittlungsverfahren nicht, daraus lässt sich folgern, dass den bulgarischen Geheimdienst und den KGB belastendes Material von den bulgarischen Ermittlern systematisch ignoriert wurde.“ Der zum Mythos der Kriminalgeschichte gewordene „bulgarische Schirm“ diente nach Hristovs Erkenntnissen nicht als Tatwaffe, sondern zur Tarnung eines kleineren geräuschlosen Geräts, mittels dessen das Rizin injiziert wurde.

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