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Der Leipziger Oliver Burke feiert ein Tor gegen den 1. FC Köln. (r) jubelt mit Benno Schmitz.

© Roland Weihrauch/dpa

Debatte um Profi-Fußball und Mäzene: Erfolgsfall Rasenball – eine Lanze für Leipzig

Viele Fans schreien derzeit gegen den Bundesligaufsteiger RB Leipzig an. Sie behaupten, die Leipziger Rasenballer, finanziert von Red Bull, seien nur „gekauft“. Aber sind das nicht alle Fußballer? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Das ist ein Beitrag zum Tag der deutschen Einheit nächste Woche. Selbst wenn die Geschichte irgendwo hinter sieben mal siebenhundert Bergen beginnt. Dafür ist es aber eine richtig herzergreifende Geschichte, die seit Anfang dieses Jahres um die Welt lief, Stichwort: „Kleiner Messi-Fan muss vor den Taliban fliehen“.

Im Internet waren Fotos eines fünfjährigen afghanischen Buben aufgetaucht, der sich aus einer blauweiß gestreiften Plastiktüte ein argentinisches Fußballtrikot gebastelt hatte, mit der Kugelschreiber-Aufschrift „Messi“. Die Bilder und die globale Anteilnahme gelangten so auch ins Visier des Messi-Managements, weshalb der argentinische Star des FC Barcelona ins ferne Afghanistan ein Päckchen schicken ließ, das der Junge sich stolz im Büro der Unicef in Kabul abholen durfte. Daraufhin gab’s wieder allerhand Rührung, denn der große Messi hatte dem kleinen Murtasa je ein argentinisches und Barceloner Trikot in Kindergröße geschickt, signiert „mit viel Liebe Leo“. Und dekoriert mit viel Medienecho.

Wow. Der weltberühmte Lionel verschenkt als liebevoll freundschaftlicher Leo zwei echte Fußballerleibchen. Wow, wow!

Bald freilich hieß es, das plötzlich prominent gewordene Kind sei nun mit seiner Familie aus Sicherheitsgründen nach Pakistan geflohen, die Familie hoffe, dort einen offiziellen Flüchtlingsstatus zu erhalten und mit dem kleinen Kicker womöglich nach Spanien ausreisen zu können. Seitdem haben wir von Murtasa nichts mehr gehört.

Noch mal: Ein Fußballweltstar, vorsichtig geschätztes Tageseinkommen etwa 200 000 Euro, schenkt dem afghanischen Flüchtlingskind (mit viel Liebe), ja, was? Das Stipendium für eine ihm bessere Lebenschancen eröffnende Schulausbildung? Oder er lässt den Eltern helfen bei einem Visumsantrag? Nein, die globale Publicity gilt der großzügigen Unterschrift auf zwei Stückchen Stoff. Das ist im Wortsinne: geschenkt. Ein Fall von Realsatire.

Als solche ist es freilich auch ein fantastisches Beispiel für ein Stückchen Realität im Profifußball. Die irreale Wirklichkeit beschwören dagegen die Fans, die derzeit gegen den bravourösen Bundesligaufsteiger RB Leipzig anschreien. Sie behaupten, die Leipziger Rasenballer, finanziert von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz im österreichischen Salzburg (der bekannten Kultursteueroase), seien nur „gekauft“. Sie seien der Ausbund eines „Retortenvereins“.

Oder wollen wir von Schalkes Gazprom reden?

Das Gleiche hatte man vorher schon der TSG Hoffenheim und ihrem Mäzen Dietmar Hopp (SAP) vorgeworfen. Inzwischen ist das abgelöst worden vom Krakeel gegen Leipzig. Wer aber nur einen Moment genauer nachdenkt, kann hier allenfalls den Kopf schütteln. Gehören die Erfolgsclubs in anderen Ländern und Ligen, etwa in Spanien, England, Italien, doch allesamt Oligarchen, Magnaten, Golfscheichs und neuerdings auch chinesischen Milliardären, von denen etliche ihr Geld sehr viel weniger rechtsstaatlich oder gar menschenfreundlich verdient haben dürften als die Herren Hopp und Mateschitz. Oder wollen wir von Schalkes Gazprom reden und von den wunderbar retortenfreien Werkvereinen Bayer Leverkusen und VfL Wolfsburg?

Gladbachs Andre Hahn hält nach dem Spiel gegen Leipzig einen Fan-Schal mit der Aufschrift "Traditionsverein" hoch.

© dpa

Der Fußball, das größte Spiel der Welt mit dem meisten Geld, ist manchmal eine unrunde Sache. Was uns Fans bewegt, sind schöne, archaische Gefühle und ein dem Spektakel am liebsten ganz ohne Nachdenken über seine materielle Basis hingegebener, notfalls auch zu allerlei Heuchelei und Scheinheiligkeit bereiter Spontanidealismus: in der Spanne zwischen Kunst, Genie, Vergötterung, Leidenschaft, Schweiß und Tränen. Zwischen Bodenstämmigkeit und neuer Weltläufigkeit.

Die Lauterer als Heimat einst der Brüder Fritz und Otmar Walter, der HSV eines Uwe Seeler oder die Bio-Bayern um Beckenbauer, den Maier-Sepp und den Bomber Müller, diese Urgesteinzeiten sind lange vorbei. Heute sind alle besseren Mannschaften gekauft. Zusammengekauft. Hauptsache, sie spielen spannend und gut. Wie die wirtschaftlich und sportlich ausstrahlenden (zudem stasi- und nazifreien) Rasenballer aus Leipzig, dem Leuchtturm des deutschen Ostens.

Will man den als einäugiger Fußballkapitalismuskritiker schleifen? Statt sich zu freuen über ein Exempel der bislang geglückten Investition und Innovation. Sich zu freuen auch über die in der RB- Mannschaft im Zusammenspiel mit ihren Fans gerade in Sachsen verkörperte multikulturelle Identifikation. Wir sollten sie bei der Einheitsfeier in Dresden mit in die erste Reihe setzen.

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