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Ein Kranz von Giffey: Berlin und Brandenburg ehrten die ermordeten Sinti und Roma. Im Hintergrund Stelen mit Biografien der Opfer in der Gedenkstätte in Berlin-Marzahn.

© Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg

Holocaust-Gedenken der Sinti und Roma: "Erinnerung ist kein Nullsummenspiel"

Die Minderheit gedenkt ihrer Opfer des NS-Völkermords. Und plädiert dafür, den Schutz von Juden, Sinti und Roma in die Landesverfassungen zu schreiben.

Fast gleichzeitig zum offiziellen Holocaust-Gedenken im Bundestag erinnerten am Donnerstag Sinti und Roma auf dem Gelände des ehemaligen Zwangslagers in Berlin-Marzahn an die Völkermorde der Nationalsozialisten. Auch gegen sie richtete sich der Rassenhass von NS-Deutschland. Etwa eine halbe Million Menschen der Minderheit überlebten die Verfolgung nicht, starben in KZ und durch Zwangsarbeit.

In Marzahn bestand zwischen 1936 und 1945 ein Lager, in das Sinti und Roma zwangseingewiesen wurden. Für viele der etwa 1200 Insassen war es die erste Station zu ihrem Transport in die Vernichtungslager. Einer der Überlebenden war Otto Rosenberg, der Gründer des Landesverbands deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg und Vater der heutigen Vorsitzenden Petra Rosenberg

"Shoah verliert nicht ihre Einzigartigkeit durch andere Menschheitsverbrechen"

Hauptredner der Marzahner Gedenkstunde war allerdings keiner dieser Überlebenden und ihrer Kinder, sondern zu hören war, wie ein paar Kilometer weiter im Bundestag, eine jüdische Stimme. Micha Brumlik, einer der wichtigen jüdischen Intellektuellen Deutschlands und emeritierter Professor der Universität Frankfurt, machte sich in seiner Rede dafür stark, die Bekämpfung des Antisemitismus und des Antiziganismus gleichermaßen als Staatsziele in die Landesverfassungen von Berlin und Brandenburg aufzunehmen.

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Aktuell sieht ein Gesetzentwurf von SPD, CDU, Grünen und Linkspartei im Potsdamer Landtag vor, lediglich Antisemitismus ausdrücklich zu nennen. Für eine Erweiterung des Auftrags setzt sich der berlin-brandenburgische Verband ein. Ausgangspunkt, wenn auch nicht Grund ihrer Initiative waren die rassistischen Morde von Hanau 2020, denen auch zwei Männer und eine Frau aus der Minderheit zum Opfer fielen. Ein Expertenbericht an die Bundesregierung machte letztes Jahr deutlich, wie weit die Folgen der NS-Verfolgung bis heute auf Sinti und Roma wirkt.

Brumlik plädierte in Anlehnung an den US-Historiker Michael Rothberg für eine Erinnerung, die viele Perspektiven und Opfergruppen einschließe. Erinnerungskultur sei "kein Nullsummenspiel". Sie werde aber Opfer politischer Instrumentalisierung, wenn man verschiedene Kulturen in Konkurrenz sehe. Der Völkermord an Juden und Jüdinnen verliere nicht seine Einzigartigkeit, wenn man ihn "zu anderen Menschheitsverbrechen ins Verhältnis" setze.

Minderheit spricht demnächst mit dem Senat

Brumlik erinnerte daran, dass aktuell heiß diskutierte Verhältnis von Antisemitismus und Kolonialismus nicht erst jetzt zum Thema geworden sei. Als etwa der Planer der Vernichtung, Adolf Eichmann, in Jerusalem vor Gericht stand, wurden im selben Jahr 1961 in Paris friedliche algerische Demonstrant:innen massakriert. Die Verantwortung trug Polizeipräfekt Maurice Papon, der als hoher Funktionär in Vichy-Frankreich mit NS-Deutschland kollaborierte und Judendeportationen organisierte.

Mehrere Überlebende des Holocaust und Nachfahren von Opfern unter Frankreichs Intellektuellen hätten seinerzeit eine Linie zwischen Papons Verbrechen gesehen. So wie der Gelehrte W.E.B. DuBois bei seinem Besuch der Reste des Warschauer Ghettos 1949 fand, er, der Schwarze US-Bürger, habe dort mehr Klarheit über ein Rassenproblem bekommen, das "quer lag zu Fragen der Hautfarbe, der Religion". Er sah " kulturelle Muster, pervertierte Lehren, menschlichen Hass und Vorurteile, die alle möglichen Menschen betrafen".

Unter den Gästen der Marzahner Gedenkfeier waren am Donnerstag prominente Köpfe der Politik beider Länder, die Präsident:innen von Abgeordnetenhaus und Landtag, Dennis Buchner und Ulrike Liedtke, und die neue Justiz-Staatssekretärin im Berliner Senat, Saraya Gomis. Mit Gomis ist bereits ein Gespräch über das Staatsziel im Februar geplant.

Petra Rosenberg, die Vorsitzende des Landesverbands der Sinti und Roma, sagte dem Tagesspiegel, sie sei "sehr glücklich, dass ein jüdischer Intellektueller, Micha Brumlik, seine Solidarität zum Ausdruck gebracht hat". Sie freue sich zudem auf das erste Gespräch mit Gomis am 17. Februar. "Ich bin zuversichtlich, dass wir das Thema Staatsziel bald konstruktiv besprechen können."

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