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Erste Hilfe: Was der Gesundheitskompromiss für die Versicherten bedeutet

Es hat Monate gedauert und wurde von „Gurkentruppen“ und „Wildsäuen“ begleitet. Die Koalition hat sich nun auf den Einstieg in ein Prämienmodell verständigt.

Es hat Monate gedauert und wurde von „Gurkentruppen“ und „Wildsäuen“ begleitet. Jetzt hat die schwarz-gelbe Bundesregierung einen Kompromiss in Sachen Gesundheit erarbeitet: Für die gesetzlich Versicherten wird er teuer. Vor allem die Zusatzbeiträge stehen im Mittelpunkt der Diskussion.

Welche Folgen hat der Zusatzbeitrag für die Versicherten?

Sie müssen künftig allein für alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen aufkommen. Und auch wenn das Gesundheitsministerium versichert, dass es 2011 nur „sehr moderate Zusatzbeiträge“ bei einzelnen Krankenkassen geben werde: In den nächsten Jahren steigen die einkommensunabhängigen Prämien dann mit Sicherheit immer weiter. Nach aktueller Schätzung werden die Kassen 2012 im Schnitt acht Euro erheben, 2013 wären es bereits 12 Euro, im Jahr 2014 schließlich 16 Euro.

Über die Höhe der Zusatzprämie kann jede Kasse selbst entscheiden. Anders als heute darf sie allerdings nicht mehr einen prozentualen Beitrag erheben, sondern nur noch eine Pauschale. Der gesetzlich versicherte Ingenieur zahlt also genauso viel wie die Verkäuferin. Um einen Ausgleich zwischen Arm und Reich zu schaffen, soll es allerdings einen Sozialausgleich aus Steuermitteln geben.

Wie soll der Sozialausgleich organisiert und finanziert werden?

Die Abwicklung sollen Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger übernehmen. Wer finanziell überfordert ist, dem soll bei der Gehaltsabrechnung (beziehungsweise der Rente) etwas weniger Geld beim prozentualen Kassenbeitrag abgezogen werden. Im Herbst jeden Jahres soll das Bundesversicherungsamt anhand der Prognosen über die Kassenfinanzen festlegen, wie hoch der durchschnittliche Zusatzbeitrag im Folgejahr ausfallen wird. Je höher das Defizit, desto höher die Prämie.

Wer mehr als zwei Prozent seines Bruttoeinkommens im Vergleich zur Durchschnittsprämie zahlt, bekommt die Differenz erstattet. Ein Beispiel: Ein Geringverdiener mit einem Monatseinkommen von 1000 Euro muss eine Prämie von 25 Euro im Monat zahlen, seine Kasse verlangt genau die Durchschnittsprämie. Die Überforderungsgrenze liegt bei 20 Euro, der Arbeitgeber muss ihm fünf Euro mehr überweisen. Wenn der Betroffene allerdings bei einer Kasse mit einer höheren Prämie ist – etwa 30 Euro –, steigt auch die Belastung des Versicherten. Er bekommt nämlich nach wie vor nur fünf Euro erstattet, zahlt also in dem Fall 2,5 Prozent seines Bruttoeinkommens. Rechtens wäre das, der Versicherte könnte dann überlegen, ob er die Kasse wechselt. Das ist auch das politische Ziel: mehr Wettbewerb. Wenn eine Kasse einen geringeren (oder in den ersten Jahren gar keinen) Zusatzbeitrag erhebt, kann es auch vorkommen, dass ein Versicherter Geld erstattet bekommt, obwohl er de facto nicht überfordert ist.

Kompliziert wird es, wenn ein Versicherter mehrere Einkommen erhält, etwa der Rentner, der eine gesetzliche Rente und eine Betriebsrente bezieht. Im Ministerium heißt es dazu, schon jetzt gebe es beim Bundeszentralamt für Steuern eine jährliche Rentenbezugsmitteilung mit den entsprechenden Daten. Doch die liegt derzeit erst am Jahresende vor.

Dass für den Sozialausgleich keine höheren Steuern notwendig sind, stimmt vielleicht noch für diese Wahlperiode. Steigen jedoch die Zusatzprämien immer weiter, werden langfristig auch erheblich mehr Steuergelder fließen müssen. Für 2014 rechnet das Gesundheitsministerium mit etwa 900 Millionen Euro, danach soll die Summe jährlich um etwas weniger als eine Milliarde Euro steigen.

Wie wirkt sich der Gesundheitsbeschluss auf die Krankenkassen aus?

Sie haben zunächst mal Planungssicherheit. Bislang wussten die Versicherer ja nur, dass ihnen im kommenden Jahr ein Rekorddefizit von zehn bis zwölf Milliarden Euro blüht, nicht aber, wie die Regierung gegenzusteuern gedenkt. Ohne zu wissen, was sie an Geld bekommen oder an Ausgaben sparen, lässt sich kein Haushalt erstellen. Mit den Eckpunkten können sie nun endlich zu rechnen beginnen.

Ansonsten freuen sich die Kassen natürlich über den Geldregen. Die Steigerung des allgemeinen Beitragssatzes auf 15,5 Prozent spült ihnen etwa sechs Milliarden Euro in die leeren Kassen. Bei den Ausgaben sparen sie im kommenden Jahr zudem rund 3,5 Milliarden Euro. Und dann sind da noch die Zusatzbeiträge. Sie sind nicht mehr nach oben begrenzt, die Kassen können sie künftig also ganz nach Bedarf in beliebiger Höhe festsetzen. Das bedeutet, dass sie auch nicht mehr benachteiligt sind, wenn sie mehr Geringverdiener als andere haben. Die bisherige Begrenzung auf ein Prozent des Bruttoeinkommens bewirkte, dass die Besserverdienenden einer Kasse umso stärker belastet werden mussten, je mehr Geringverdiener in dieser waren. Die Gutverdiener gingen häufig zu günstigen Kassen. Dieser Teufelskreis wurde nun durchbrochen.

Mit den nach oben offenen Zusatzbeiträgen erhalten die Kassen nun einen Teil dessen zurück, was ihnen mit dem Gesundheitsfonds im Jahr 2009 genommen wurde: Beitragssouveränität. Ob sie ihnen viel nützt, ist eine andere Frage. Versicherte, die das Gefühl haben, allzu heftig abkassiert zu werden, können schließlich problemlos ihre Kasse wechseln.

Trotz der Erleichterung kritisieren viele Krankenkassen Teile des Kompromisses. Zum einen gehen ihnen die Sparmanöver bei Ärzten und Kliniken nicht weit genug. Für Krankenhäuser hätte es eine Nullrunde geben und die niedergelassenen Ärzte hätten darüberhinaus sogar zur Rückzahlung von 800 Millionen Euro verdonnert werden müssen, findet ihr Spitzenverband. Außerdem sei es nicht richtig, dass die Arbeitgeber mit einem eingefrorenen Beitragssatz aus der Solidarität für Kostensteigerungen entlassen würden, moniert der Verband der Ersatzkassen.

Tragen den Kompromiss alle mit?

Bisher sind keine neuen Rempeleien zu vermelden. Jens Spahn (CDU) nennt die Beschlüsse ein „ausgeglichenes Paket aus Einsparungen und Beitragserhöhungen“. Ulrike Flach (FDP) freut sich, dass es gelungen sei, die Gesundheitskosten von den Lohnkosten zu entkoppeln. Und die CSU, die aus der Sicht von Beobachtern am meisten über den Tisch gezogen wurde, verwahrt sich zwar energisch dagegen, nun doch einer „Prämie“ zugestimmt zu haben, verhält sich aber ansonsten ganz still. Dabei bemühte sich am Mittwoch sogar der DGB darum, den bayerischen Löwen wieder zum Brüllen zu bringen. Die CSU solle gefälligst wieder zu ihrer alten Position gegen die Kopfpauschale zurückkehren, forderte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.

Dass der Burgfrieden lange hält, bezweifeln viele. Spätestens wenn es ums Kleingedruckte gehe, werde der Streit mit der CSU wieder beginnen, prognostiziert ein langjähriger Spitzenbeamter im Ministerium. Auch bei den anderen Koalitionspartnern gibt es Gegrummel. Der FDP-Finanzexperte Hermann-Otto Solms bezeichnet die Beitragserhöhungen zwar zähneknirschend als „unvermeidlich“. Doch im Wirtschaftsflügel der CDU polterten sie bereits lautstark gegen die „Belastung für Aufschwung und Beschäftigungsdynamik“. Der Gegenseite wiederum passt das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags nicht. Das müsse „wieder rückgängig gemacht werden“, sagt der Bundesvize der CDU-Sozialausschüsse, Christian Bäumler.

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