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Arbeit und Lernen sind ihnen am wichtigsten: Geflüchtete während eines Kurses an Berlins Freier Universität.

© Florian Gärtner/imago

Was Flüchtlinge wollen: Erwünscht: Kleinstadt mit Anschluss

Kontakt zu Deutschen, Jobs und Möglichkeiten zu lernen: Das hält Flüchtlinge auch in kleineren Gemeinden. Forscher empfehlen, deren Angebot zu verbessern.

Flüchtlinge zieht es keineswegs nur in große Städte. Auch in Kommunen auf dem Land oder in Kleinstädten leben sie gern, wenn sie dort Kontakt zur Bevölkerung haben, Arbeit, Ausbildungsmöglichkeiten und Schulen für sich und ihre Kinder finden und eine ordentliche Verkehrsanbindung haben. Wie der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und die Robert-Bosch-Stiftung jetzt in einer qualitativen Befragung von 67 Flüchtlingen festgestellt haben, waren dies die am häufigsten genannten Kriterien, wenn es ihnen am - meist zugewiesenen - Wohnort in Deutschland gefiel und sie dort bleiben wollten. Nach den Erlebnissen im Herkunftsland, langer Flucht und Stress in beengten Erstaufnahme-Einrichtungen sei die Aussicht auf Ruhe und Schutz entscheidend dafür, wie sie die neue Heimat wahrnähmen. Außerdem hätten sie noch kaum Vorstellungen von Deutschland und stünden auch deshalb der Kommune, in die man sie schicke, "grundsätzlich offen gegenüber". Sie dächten erst an Umzug, wenn sie am Ort keine Möglichkeiten für sich sähen. Die Autorinnen empfehlen daher, rechtzeitig zu intervenieren, denn man wisse aus der Integrationsforschung insgesamt: "Die Weichen werden in dieser ersten Phase gestellt", sagte Studienleiter David Schiefer. Die Wohnsitzauflage, wie sie 2016 Gesetz wurde, wird in der Studie folglich kritisch gesehen. Sie könne zwar "die Menschen zwingen, physisch vor Ort zu bleiben", heißt es darin. "Wirklich dort ankommen und Fuß fassen werden sie aber nur, wenn die Bedingungen stimmen."

Die eine braucht intensiv Deutsch, der andere sofort einen Job

Dabei gibt es mehrfache Zielkonflikte, wie die Studie einräumt. Einer ist der zwischen dem Wunsch zu arbeiten und auf eigenen Füßen zu stehen, und dem, sich zu weiterzubilden oder zu studieren. Stelle sich schon das Deutschlernen als langwierig heraus, stünden Flüchtlinge in Gefahr, in einen Job im Niedriglohnsektor "abzubiegen", Studium oder Qualifikation zu verschieben, auf Dauer ihre Fähigkeiten zu verschwenden und rascher wieder arbeitslos zu werden. Bosch-Stiftung und Sachverständigenrat empfehlen daher, schon bei der Erstverteilung von Geflüchteten auf die Kommunen darauf zu achten, dass sie an Orte kommen, wo sie Chancen haben, ihre Fähigkeiten einzusetzen. So sollte "ein Student, der sein Jura-Studium durch Krieg und Flucht abbrechen musste, möglichst in der Nähe einer Universitätsstadt untergebracht werden", sagte Ottilie Bälz von der Bosch-Stiftung. Wer für sein Fortkommen rasch Deutsch lernen müsse, solle intensiv Unterricht bekommen, statt in ein Berufspraktikum gesteckt zu werden. Etliche der befragten Flüchtlinge gaben in der Studie an, dass ihre Berufsorientierung ihnen wenig persönlich wenig genützt habe. Die Studie mahnt zu "flexiblen Strukturen", um Weiterbildung und Geldverdienen parallel zu ermöglichen - etwa durch Teilzeitarbeit während einer Berufsausbildung.

"In jedem Weiler kann Flüchtlingsarbeit gut sein"

Ein bewegliches System, das darauf reagiert, was Geflüchtete wirklich brauchen, auf dem Land oder in Kleinstädten? Jan Schneider, Leiter des SVR-Forschungsbereichs, hält dies nicht für einen Widerspruch. "In jedem kleinen Weiler kann gute Flüchtlingsarbeit gelingen." Aber gerade mittlere Städte, von denen Deutschland viele habe, stellten gute Infrastruktur bereit. Voraussetzung sei, dass Flüchtlinge eine gute Verkehrsanbindung hätten, um zwischen der Kita der Kinder, Berufsschule oder Arbeitsplatz zu pendeln. Die Bosch-Stiftung beginnt im nächsten Jahr in sechs Landkreisen ein Pilotprojekt zur Verbesserung von deren Flüchtlingsintegration.

Die jetzt veröffentlichte Befragung von Stiftung und SVR "Wie gelingt Integration? Asylsuchende über ihre Lebenslagen und Teilhabeperspektiven in Deutschland" fand zwischen März 2016 und April 2017 statt. Mit 67 interviewten Personen sei sie "natürlich nicht repräsentativ im statistischen Sinne", wie Jan Schneider sagte. Man verstehe sie aber als Ergänzung zur großen repräsentativen Untersuchung, in der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das Forschungsinstitut IAB der Bundesagentur für Arbeit und die größte deutsche Sozialdatenerhebung SOEP in diesem und dem letzten Jahr die Lage Geflüchteter erkundeten. Sie solle "die Perspektive der Flüchtlinge einbeziehen, die in Wissenschaft wie öffentlicher Debatte oft zu kurz komme", so Ottilie Bälz.

Besonders wichtig: Sicherheit, Familie und Freunde

Die interviewten Männer und Frauen waren zwischen 18 und 68 Jahre alt, stammten aus Syrien, Pakistan, Somalia, Afghanistan und vom Balkan - Kosovo, Albanien und Mazedonien - und waren allesamt ohne oder noch ohne sicheren Aufenthaltsstatus. In einem ersten Teil der Interviews konnten sie sich ohne systematische Fragen frei äußern. Dabei war die Unsicherheit über ihre Zukunft "eines der dominierenden Themen" neben dem Wunsch nach Arbeit und Ausbildung. Die Unklarheit darüber mache es ihnen schwer, heißt es in der Auswertung "auch innerlich anzukommen und ihr Leben in der neuen Gesellschaft aktiv in die Hand zu nehmen". Man empfehle deswegen, so David Schiefer, ihre Verhältnisse möglichst rasch zu klären. Kritik formuliert die Studie auch daran, dass Asylsuchende je nach Bleibeperspektive unterschiedlich behandelt und der Familiennachzug für lediglich auf Zeit (subsidiär) Geschützte unterbrochen sei. Das sei "mindestens aus integrationspolitischer Sicht nicht sinnvoll". Familienzusammenführung und eine klare Aufenthaltsperspektive hingegen würden "den Integrationsprozess erheblich beschleunigen". Dazu kämen Kontakte, sagt David Schiefer. Die Interviews hätten auch zutage gefördert, dass Kollegen und Freunde "langfristig womöglich noch wichtiger als materielle, konkrete Hilfe" seien.

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