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Der CDU-Europaabgeordnete Rainer Wieland.

© imago images / Arnulf Hettrich

EU: „Eine Sieben-Jahres-Planung ist absurd“

Der CDU-Europaabgeordnete Rainer Wieland spricht im Interview mit EurActiv über Populisten, Steuergerechtigkeit und den EU-Haushaltsrahmen.

Herr Wieland, die Frage der Steuergerechtigkeit ist den EU-Bürgerinnen und Bürgern ein zentrales Anliegen geworden, nicht zuletzt wegen der „Gelbwesten“ in Frankreich. Glauben Sie, diese Frage gefährdet den europäischen Zusammenhalt?

Dort, wo die etablierten Kräfte angefangen haben, selber populistisch zu werden, ist das populistische Problem größer geworden, denn es ist ein Versprechungswettbewerb entstanden. Und in einem sind die Populisten besser als die etablierten Parteien: im Versprechen. Der Populist wird bei einem politischen Versprechungswettbewerb immer noch locker eins oben draufsetzen können. Aber wenn sie liefern müssen, dann kommen sie in Verlegenheit. Generell glaube ich, dass wir wieder Politik Schritt für Schritt machen müssen, und weniger über die Welt, wie wir sie gerne hätten, reden sollten. Das zeigt das Beispiel der ‚Gilets jaunes‘. Dass sie die Reaktion auf ein Benzinthema sind, erkläre ich mir im Nachhinein so, dass die öffentlichen Verkehrsmittel in Frankreich viel schwächer ausgebildet sind als in meinem Land. Das heißt, wenn Autos dort nicht mehr fahren können und der individuelle Verkehr stark reduziert ist, sind Menschen, die in der Fläche wohnen, bezüglich der Kosten von Mobilität viel sensibler als anderswo und wehren sich natürlich gegen eine Preiserhöhung des Benzins.

Bleiben wir bei der Frage der Steuergerechtigkeit. Welche finanzpolitischen Veränderungen auf EU-Ebene wären am sinnvollsten?

Da ist erst einmal die Frage, was man unter Steuergerechtigkeit versteht. Ich würde sagen, dass es für einen ersten Schritt völlig genügen würde, wenn die Bemessungsgrundlagen vereinheitlicht würden. Dadurch würde eine gewisse Sichtbarkeit darüber entstehen, was überhaupt besteuert wird. Es nutzt wenig, wenn ein Land einen Steuersatz von X hat und ein anderes Land einen Steuersatz von X plus 10, aber völlig unterschiedliche Tatbestände zur Grundlage der Besteuerung herangezogen werden. Die Bemessungsgrundlage muss zum ‚Level Playing Field‘ werden, und danach könnte man sich der Steuerhöhe zuwenden. Ich glaube allerdings nicht, dass wir einheitliche Steuersätze vereinbaren werden. Wahrscheinlicher ist aber ein Steuerkorridor. Das würde mehr der Realität mehr entsprechen.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip in der EU gefordert. Wie stehen Sie dazu?

Das unterstreiche ich. Gleichzeitig muss aber jedem klar sein, dass unterschiedliche Mitgliedsstaaten durchaus unterschiedliche Vorstellungen darüber haben könnten, auf welchen Politikfeldern Einstimmigkeitsregeln aufgegeben werden sollten. Wenn wir aus einem Land, wo die Steuern relativ hoch sind, anderen Ländern sagen, dass dort die Steuern angehoben werden sollen, dann wird die Begeisterung dort sehr begrenzt sein. Sie werden sagen: ‚Das ist schadet unserem Standortvorteil. Wenn wir das überhaupt machen, dann nur unter der Bedingung, dass wir auch eine Mehrheitsentscheidung auf anderen politischen Feldern einführen‘. Es kann dann durchaus sein, dass die Deutschen, die Franzosen oder beide nicht so begeistert sind von Mehrheitsentscheidungen auf diversen anderen Feldern.

Gegenwärtig wird über die nächste EU-Haushaltsperiode zwischen 2021 und 2017 diskutiert. Wie sieht es dann mit dem siebenjährigen Finanzrahmen aus?

Wir müssen weg vom siebenjährigen Finanzrahmen. Natürlich wird das nicht von heute auf morgen geschehen. EU-Haushaltskommissar Oettinger hat den Versuch gemacht, einen fünfjährigen Finanzrahmen einzuführen. Das scheint zumindest momentan nicht erfolgreich, obwohl mir diese Initiative als ein erster Schritt nicht überambitioniert scheint. Ich könnte mir vorstellen, dass so ein fünfjähriger Zeitraum immer im Jahr N+2 oder N+1 beginnt, also immer im ersten oder zweitem Jahr nach einer Europawahl. Das würde bedeuten, dass die neu gewählte Kommission mit dem neu gewählten Europäischen Parlament gemeinsam gestalten könnte. Die Welt sieben Jahren im Voraus zu planen ist absurd. In Deutschland haben wir ein- oder zweijährige Haushalte, und das würde ich als angemessene Laufzeit für einen Haushalt halten, der durch einen flexiblen mittelfristigen Finanzrahmen hinterlegt wird. Eine andere Frage scheint mir aber viel wichtiger und dringlicher: Wir leisten uns alle sieben Jahre einen Bazar, den die Mitgliedstaaten veranstalten. Man muss nicht Mathematik studiert haben, um zu wissen, dass die Gleichung, ‚ich will weniger bezahlen, aber mehr bekommen‘, nicht aufgehen wird. Das begreift jedes Schulkind. Ich verstehe nicht, warum sich einige so verhalten, als ob das aufgehen könnte.

Rainer Wieland (CDU) ist seit 1997 Mitglied im Europäischen Parlament und hat dort seit 2009 den Posten des Vizepräsidenten inne. Außerdem ist er Präsident der überparteilichen Europa-Union Deutschland.

Erschienen bei EurActiv.

Der Tagesspiegel und das europapolitische Onlinemagazin kooperieren miteinander.

Claire Stam

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