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Wer nach katholischem Kirchenrecht verheiratet ist, muss die Ehe vor einer neuen Heirat kirchlich auflösen lassen.

© Matthias Balk/dpa

EU-Generalanwalt zum Arbeitsrecht: Eine Hochzeit ist ein schlechter Grund für eine Kündigung

Die Kirchen genießen in Deutschland einen Ausnahmestatus, um religiöse Regeln in der Rechtsordnung durchzusetzen. Höchste Zeit, dagegenzuhalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Manche Gesetze lassen sich schwer ändern, etwa Canon 1085 im Kodex des Kanonischen Rechts, des katholischen Kirchengesetzbuchs: Ehen müssen annulliert werden, bevor man eine neue eingeht. Ein aufwendiger Prozess, dem sich in Deutschland nur wenige Paare unterziehen. Alle anderen Katholiken orientieren sich am Bürgerlichen Gesetzbuch und heiraten nach der Scheidung einfach ein zweites Mal. Auch ein Chefarzt aus einer Düsseldorfer Klinik, der allerdings dann von seinem kirchlichen Arbeitgeber, der Caritas, gefeuert wurde. Von einem Katholiken in einem katholischen Krankenhaus sei mehr Respekt vor katholischen Regeln zu erwarten, hieß es.

Das Bundesverfassungsgericht hält schützend seine Hand über die Kirchen

Der Streit durchläuft seit Jahren die Instanzen, drei Arbeitsgerichte hoben die Kündigung auf, dann sprach das Bundesverfassungsgericht eines seiner heiligen Worte zum Staatskirchenrecht. Oder heißt es Religionsverfassungsrecht? Egal, die Kirchen mögen den ersten Begriff logischerweise lieber. Aus ihrer Sicht bekräftigt er ihre starke Stellung im Verfassungsstaat, für die das Karlsruher Gericht ebenfalls eine Stütze bildet. Betont wurde daher das „kirchliche Selbstbestimmungsrecht“, das die „Sicherstellung der religiösen Dimension“ ihres Wirkens umfasse.

Eine Ehe ist keinen Krankenstation

Das Verfahren wurde an das Bundesarbeitsgericht zurückgegeben, doch statt es dort erneut zu entscheiden, legte man es trickreich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor. Dessen Generalanwalt hat jetzt sein Votum veröffentlicht, wonach die kirchliche Selbstbestimmung nur Vorrang genießt, wenn das konfessionell korrekte Verhalten im konkreten Fall eine berufliche Anforderung darstellt. Da das Führen einer Ehe nichts mit dem Führen einer internistischen Station im Krankenhaus zu tun hat, ist die Antwort klar. Meist hält sich der Gerichtshof an das Votum seines Generalanwalts.

Es geht um einen Machtkampf - und um über eine Million Beschäftigte

Absehbar, dass die Caritas erneut Verfassungsbeschwerde einlegen wird, wenn das Bundesarbeitsgericht dem Luxemburger Richterinnenspruch folgen sollte. Es handelt sich um einen Machtkampf. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände beschäftigen 1,3 Millionen Menschen, denen sie die Job-Regeln selbst diktieren möchten. Der EuGH hatte diesen Freiraum schon eingedampft, indem er eine Einstellungspraxis pauschal nach Religionszugehörigkeit für diskriminierend erklärte. Vielmehr müsse die „richtige“ Konfession ebenfalls eine echte Job-Anforderung sein.

Die EU-Regeln übernehmen Luthers Rolle

Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien übernehmen zunehmend die Rolle, die Luther mal hatte: der Kirche Grenzen aufzuzeigen. In Deutschland wird ernsthaft über Islam, Kopftuch und Neutralität diskutiert, während solche Prozesse geführt werden, die wie aus einem vergangenen Jahrhundert erscheinen. Staatskirchenrecht? Letztlich kann es nur den Staat geben, die Kirchen und das Recht.

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