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© AFP

EU-Gipfel: Demonstration der Einheit in Brüssel

Merkel allein zu Haus? In Brüssel sind alle bemüht, den Eindruck deutscher Isolation zu vermeiden.

Es ist früh am Freitagmorgen. Im Hotel „Amigo“ in den Altstadtgassen der belgischen Hauptstadt, hinter der Grand Place, haben sich Deutschlands Spitzenbeamte bei Wein und Bier in die Lobby zurückgezogen. Sie gehen das Abschlussdokument des EU-Gipfels Seite für Seite durch und nicken ab und zu beiläufig. Ihre Chefin ist schon zu Bett. Große Debatten sind auch nicht mehr nötig, aus deutscher Sicht ist die Zusammenkunft der 27 Staats- und Regierungschef zu diesem Zeitpunkt bereits gelaufen. Es sind andere, die zu später Stunde noch bei Ratschef Nicolas Sarkozy antreten müssen, wie es in der Delegation heißt: „Wir sind kein Problemkind auf diesem Gipfel.“

Angela Merkel hat auch keine zweite Nacht im „Amigo“ gebucht – von wegen zähes Ringen und Streit bis tief in die nächste Samstagnacht. Schon am späten Vormittag verlässt der britische Premier Gordon Brown die Gespräche, am frühen Nachmittag geht dann der gesamte Gipfel überraschend geräuschlos zu Ende – mit Einigungen in den drei Kernfragen Konjunktur, Klima und Kelten. Hinter Letzterem verbirgt sich natürlich die Zusage aus Dublin, den widerspenstigen Iren den schon einmal abgelehnten EU-Reformvertrag erneut zur Abstimmung vorzulegen. „Heute“, sagt der Brite Brown, „ist Europa vereint.“

Das ist nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Da gab es im Vorfeld die lauten Rufe aus verschiedenen europäischen Hauptstädten, der größte Player Deutschland möge seiner Verantwortung als europäische Konjunkturlokomotive gerecht werden und ordentlich Geld in die Hand nehmen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Das gipfelte vor dem Gipfel in der von Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy transportierten Aussage, Deutschland denke und Frankreich handele. Eine Pariser Zeitung kürte die vermeintlich knausernde Kanzlerin daraufhin zu „Madame Non“. Als am vergangenen Montag dann Sarkozy zusammen mit EU-Kommissionschef José Manuel Barroso in Nummer 10, Downing Street, aufkreuzte, um in trauter Dreierrunde das Brüsseler Treffen vorzubereiten, schien endgültig klar: Merkel allein zu Haus.

„Da ist ein Bild entstanden, das einfach nicht zutreffend ist“, beharrt ein hochrangiges Mitglied der deutschen Delegation. Zu dem Dreiertreffen habe Brown als nächster G-20-Vorsitzender zunächst für den 17. November eingeladen. Der Termin sei angesichts des eilends einberufenen Washingtoner Weltfinanzgipfels aber nicht zu halten gewesen, weshalb er eben in diese Woche verschoben worden sei. Und was war mit Merkels „Bild“-Botschaft, in der sie donnerte, sie werde in Brüssel „dafür sorgen“, dass in Brüssel nichts beschlossen werde, was deutsche Arbeitsplätze gefährde? Angeblich nur eine bewusst gesetzte Replik auf Sarkozys Omnipräsenz in den Medien! Auch in einer guten Ehe werde eben gestritten, so die Lesart im Kanzleramt, „und manchmal auch bei offenem Fenster“.

Der Eindruck einer deutschen Isolation wird auch von allen anderen Gipfeldelegationen tunlichst vermieden. Als Erste führt der französische Präsident seine deutsche Kol legin zum Gruppenfoto, die Wangenküsschen fallen noch ein wenig euphorischer aus als sonst. Und fast penetrant wird auf den Fluren des Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäudes, in dem der Rat der Regierungen traditionell tagt, die Einheit mit Deutschland beschworen. Als etwa ein Sprecher der EU-Kommission zu einem komplizierten Detail des Klimapakets Stellung nehmen soll, verkündet er ungefragt, dass Berlin alles andere als isoliert sei.

Entsprechend wohlgelaunt erscheint die Kanzlerin zur abschließenden Pressekonferenz. Sie lächelt, sagt, dass auch sie sich zum Gelingen des Ganzen bewegt habe, und spricht von einem „sehr erfolgreichen“ Treffen. Die Fragen zu dem Klimabeschluss und der europäischen Krisenreaktion halten sich jedoch in Grenzen. Schnell kommt die Runde zu Merkels Stellung unter den Ratskollegen. Ein französischer Reporter fragt sie, ob es denn stimme, dass Deutschland immer nationaler denke und immer weniger europäisch, worauf sie ganz entrüstet zehn Minuten lang zur Alternativlosigkeit des europäischen Modells in einer veränderten Welt referiert. Außerdem zahle Deutschland doch für das europäische Klimapaket viel mehr als etwa Frankreich mit seinen Atomkraftwerken.

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