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EU-Gipfel: Frankreich prescht vor: Kommt die EU-Finanztransaktionssteuer?

Frankreich plant eine Finanztransaktionssteuer im Alleingang. Und hofft, dass die anderen EU-Staaten mitziehen.

Eigentlich sollte es beim Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs vor allem um Wachstum gehen. Doch die aktuellen Themen ließen sich in Brüssel nicht aussperren: Griechenlands Schulden drücken schlimmer denn je, der Fiskalpakt ist jetzt beschlossene Sache und Frankreichs Präsident verkündete am Vorabend des Gipfels, die Finanztransaktionssteuer im Alleingang einzuführen.

Wie genau soll die französische Transaktionssteuer aussehen? Nicolas Sarkozy meint es ernst. Noch vor der Präsidentenwahl soll das Parlament die Finanztransaktionssteuer beschließen, mit der Frankreich, ungeachtet der Bedenken von EU-Partnern und der Pressionen aus der Pariser Finanzwelt, bestimmte Börsengeschäfte im Alleingang besteuern will. Den Vorschlag hatte Sarkozy erst kürzlich vor einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Gespräch gebracht. Am Sonntagabend präsentierte er ihn in einem Fernsehinterview. Alle Einzelheiten waren zu Beginn der Woche noch nicht bekannt. Nach heftigen Diskussionen, die in den vergangenen Wochen mit Banken und Finanzinstitutionen geführt worden waren, musste die Regierung am gestrigen Montag noch letzte Details regeln.

Fest steht nach Sarkozys Ankündigung, dass Käufe von Finanzprodukten ab 1. August einer Steuer von 0,1 Prozent unterliegen. Sie soll auf Aktien erhoben werden sowie auf Derivate wie die Credit Default Swaps (CDS) oder den sogenannten Hochfrequenzhandel, bei dem von Rechnern gesteuerte Börsengeschäfte im Bruchteil von Sekunden getätigt werden. Steuerpflichtig soll der Käufer, nicht der Verkäufer sein. Betroffen von der Steuer sollen am Pariser Platz gehandelte Aktien von Unternehmen mit Sitz in Frankreich sein. Obligationen von Staat und Unternehmen sowie Neuemissionen von Aktien bleiben ausgenommen. Die Reichweite der Steuer wird damit geringer sein als die, die die EU-Kommission in ihrem Vorschlag vom September 2011 für eine Direktive zu einer europaweiten Transaktionssteuer vorsieht. Mit ihr sollte auch der Handel mit Obligationen erfasst werden.

Trotz dieses bescheideneren französischen Ansatzes rechnet das Pariser Finanzministerium mit einem Aufkommen von einer Milliarde Euro im Jahr. Das ist viermal mehr als die 2008 von der damaligen Finanzministerin Christine Lagarde abgeschaffte Börsenumsatzsteuer (Impôt de Bourse) von drei Prozent einbrachte. Die künftig erhofften Einnahmen sollen zum Abbau der Staatsschulden verwendet werden.

Warum wagt Frankreich einen Alleingang?

Präsident Sarkozy steht unter Druck. Durch den Verlust der Bestnote AAA für Frankreichs Staatsschulden, die steigende Arbeitslosigkeit und die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit französischer Unternehmen sieht er sich kurz vor der Präsidentenwahl zum Handeln gezwungen. Er hat seine Kandidatur noch nicht erklärt, wird sich aber um ein weiteres Mandat bewerben. Er will ein Maßnahmenpaket durchsetzen, dass nach seinen eigenen Angaben vom deutschen Exkanzler Gerhard Schröder inspiriert ist. Die Transaktionssteuer ist ein populäres Wahlkampfthema, dessen sich die sozialistische Opposition bemächtigt hat. Deren Kandidat Francois Hollande bekämpft nicht den Präsidenten, sondern die Finanzwelt, die er als einen „Gegner ohne Gesicht“bezeichnet. Da will Sarkozy nicht zurückstehen. Mit seinem Vorpreschen will Sarkozy „einen Schock auslösen und ein Beispiel geben“. Sobald Europa eine solche Steuer einführt, „werden wir uns dem anschließen“.

Muss Frankreich Wettbewerbsnachteile fürchten? Beaudoin Prot, der Präsident der französischen Großbank BNP Paribas, hat in den Gesprächen mit der Regierung davor gewarnt, dass sein Institut der Steuer unterliegende Transaktionen an andere Börsenplätze verlagern könnte. Ob diese Drohung relevant ist, hängt davon ab, wieweit französische Unternehmen die Einführung an anderen Börsen suchen. Möglich ist, dass der stark spekulative Hochfrequenzhandel, der schätzungsweise zwei Drittel der Börsenumsätze ausmacht, von anderen Plätzen mit entsprechend leistungsfähigen Rechnern angezogen wird.

Was bedeutet diese Entscheidung für die anderen EU-Staaten? Sarkozys Vorhaben erscheint von geringerer Reichweite als das Projekt, das er bei Merkel für die gesamte EU ins Gespräch gebracht hatte. Ob Berlin dem französischen Beispiel folgt, ist fraglich. Ernster ist der Widerstand Londons. Nach Pariser Darstellung ist der französische Plan zwar „direkt“ von der Stempelsteuer inspiriert, die in Höhe von 0,5 Prozent in der City erhoben wird. Ob das etwas anderes ist als eine Torheit, wie sie Cameron vergangene Woche in Davos den Kontinentaleuropäern unterstellte, muss sich zeigen.

Worüber wurde in Brüssel noch beraten? Zum Auftakt des EU-Gipfels eskalierte der Streit um neue Kontrollen für das pleitebedrohte Griechenland. Mehrere Regierungschefs wiesen den Berliner Vorstoß zurück, wonach ein EU-„Sparkommissar“ den griechischen Staatshaushalt überwachen soll. „Beleidigen muss man niemanden in der Politik“, sagte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann in Brüssel. Das für Berlin zentrale Anliegen kam aber am Montagabend durch: Der Fiskalpakt, der eine vertraglich garantierte Ausgabendisziplin und damit neues Vertrauen zur Eurozone bewirken soll (siehe Seite 1). Die feierlichen Unterschriften sollen beim nächsten Gipfel im März geleistet werden, danach haben die Unterzeichnerstaaten ein Jahr Zeit, das Abkommen zu ratifizieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte gestern, dass es damit „in jedem Land eine Schuldenbremse geben wird“.

Da Europa von einer Rezession bedroht ist, suchen die 27 Staatenlenker auch nach neuen Wegen, um Wachstum und Jobs zu sichern. Es geht um den gezielten Einsatz noch nicht ausgegebener EU-Strukturfondsmittel und neue Impulse für den Binnenmarkt. Auch der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit ist Thema. Die Spitzenrunde begann verspätet, da sich Merkel, Sarkozy und Italiens Regierungschef Mario Monti zuvor separat getroffen hatten, um über die Endfassung des Fiskalpakts zu beraten. mit AFP

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