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Tanks in einem russischen Ölterminal.

© Foto: Stringer/dpa

EU-Vorschlag für neue Sanktionen: Welche Auswirkungen ein Ölpreisdeckel auf die russische Wirtschaft hätte

Eine Preisgrenze für russisches Öl soll die Exporteinnahmen Putins schrumpfen lassen. Doch ist das Instrument dafür geeignet?

Der bereits verstorbene US-Senator John McCain bezeichnete Russland einst abwertend als „Tankstelle, die sich als Land ausgibt“. Diplomatisch mag das zwar nicht das feine Florett gewesen sein, doch im Kern besitzt die Aussage bis heute Gültigkeit.

Energieexporte bleiben die Eckpfeiler der russischen Wirtschaft. Daran hat sich seit dem McCain-Zitat aus dem Jahr 2016 kaum etwas verändert: Mit 45 Prozent sind die Einnahmen aus den Öl-Exporten der mit Abstand größter Posten im Staatshaushalt des Kremls – dreimal höher als beim Gas.

Dementsprechend konzentrieren sich die westlichen Sanktionen als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine auch auf das Geschäft mit dem Öl. Einfuhren nach Europa sollen bis zum Ende des Jahres um bis zu 90 Prozent zurückgehen. So zumindest der Plan. Bisher läuft es mit dem Vorhaben allerdings schleppend.

50
Milliarden Euro flossen mindestens seit Kriegsbeginn aus der EU nach Russland.

Um gerade einmal 17 Prozent waren die EU-Importe von russischem Öl im Vergleich zu Vorkriegszeiten einer Datenanalyse des „Centre for Research on Energy and Clean Air“ (CREA) zufolge in den ersten sechs Kriegsmonaten gesunken. Weil gleichzeitig der Öl-Preis in Folge des Kriegs anzog, erwirtschaftete der Kreml deutlich mehr Geld als gewöhnlich. Allein aus der EU flossen seit dem 24. Februar mehr als 50 Milliarden Euro nach Moskau.

Mit dem Geld aus dem Westen lässt Putin den Krieg weiter eskalieren, zuletzt durch eine Teilmobilisierung von offiziell 300.000 Reservisten und der völkerrechtswidrigen Annexion der vier besetzen Regionen in der Ukraine. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen brachte deswegen nicht zum ersten Mal einen Preisdeckel für russisches Öl ins Spiel.

Der Gedanke hinter der Sanktion lässt sich recht leicht erklären. Ein möglichst großes Käuferkartell von Staaten soll sich dazu verpflichten, russisches Öl nur noch zu einem festgesetzten Preis und unterhalb des Weltmarktpreises zu importieren. Seinen wichtigsten Rohstoff könnte Moskau nur mit deutlich geringeren Margen verkaufen. Ob das Ganze in der Praxis zum gewünschten Ergebnis führt, darüber gehen die Meinungen jedoch auseinander.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert einen Preisdeckel.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert einen Preisdeckel.

© REUTERS / YVES HERMAN

Michal Wyrebkowski ist Ökonom an der amerikanischen Yale University. Gemeinsam mit vier weiteren Kollegen veröffentlichte er jüngst eine viel beachtete Studie, die detailliert den aktuellen Zustand und den zunehmenden Zerfall der russischen Wirtschaft aufdröselt. Eine Preisobergrenze von EU und G7, glaubt er, würde dem Kreml wirklich wehtun.

„Der Preisdeckel wird etwa zehn Dollar über den Produktionskosten pro russischem Barrel Öl liegen“, prognostizierte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel – 50 Dollar bekäme Russland demnach noch pro Verkaufseinheit und damit deutlich weniger als die derzeit handelsüblichen 80 bis 85 Dollar am Weltmarkt.  

Stellt Russland seine Lieferungen ein?

Als Ende Juni die G7 Staaten beim Gipfel in Elmau erstmals einen Ölpreisdeckel ins Gespräch brachten, reagierte man in Moskau erbost. Schon die Idee allein sei „absurd“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Alexander Nowak der Nachrichtenagentur Ria Nowosti damals. Ländern, die das mitmachten, werde Russland kein Öl mehr liefern. „Es sind die europäischen und amerikanischen Konsumenten, die dafür in erster Linie bezahlen werden“, betonte er.

Yale-Ökonom Wyrebkowski hält einen Lieferstopp jedoch aus zwei Gründen für unwahrscheinlich. Zum einen könne der Kreml schlicht nicht auf die Einnahmen verzichten und zum anderen käme man nicht mehr umhin, einen Teil seiner Ölfelder stillzulegen. „Aufgrund des eingeschränkten Zugangs zum Kapitalmarkt sowie den massiven Schwierigkeiten beim Import wesentlicher Technik lassen sich viele der Öl-Quellen nicht einfach wieder in Betrieb nehmen“, sagte er.

Steffen Bukold, Ölmarktexperte und Leiter des Forschungs- und Beratungsbüros Energycomment in Hamburg, blickt deutlich skeptischer auf die Einführung einer reinen Preisobergrenze. Ein Preisdeckel würde den Handel mit russischem Öl weitgehend legalisieren, kritisiert er.

Olaf Scholz im Juni in Elmau. Nächste Woche trifft der Bundeskanzler die anderen EU-Staats- und Regierungschefs bei einem informellen Gipfel in Prag.
Olaf Scholz im Juni in Elmau. Nächste Woche trifft der Bundeskanzler die anderen EU-Staats- und Regierungschefs bei einem informellen Gipfel in Prag.

© Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Folge: Raffinerien außerhalb des EU-Sanktionsgebiets würden jeden verfügbaren Barrel aus Russland aufgrund der niedrigen Preise aufkaufen und mit hohem Profit weiterverarbeiten. „Die finanziellen Anreize wären so hoch, dass der Graumarktpreis für russisches Öl bald über den Preisdeckel steigen wird“, gibt er zu bedenken.

 Besser wäre es, die sogenannten sekundären Sanktionen auch in der EU zu verschärfen.

Steffen Bukold, Ölmarktexperte und Leiter des Forschungs- und Beratungsbüros Energycomment in Hamburg

Dass Russland sein Öl auf dem Weltmarkt überhaupt verkaufen kann, liegt vor allem an europäischen Reedereien und Versicherern. Mit 50 Millionen Tonnen schifften griechische Reedereien seit Kriegsbeginn mit Abstand am meisten russisches Öl um die Welt. Zum Vergleich: China als zweitgrößter Käufer hinter der EU transportierte nur ein Fünftel der Menge.

Bei den Versicherungen, die die Reedereien vor möglichen Schäden wie einer Havarie absichern, richtet sich der Blick unterdessen nach London. Hier sitzt die britische „International Group of P&I“ (IGP&I). P&I steht für „Protection and Indemnity“, auf Deutsch: „Schutz und Entschädigung“. In ihr haben sich Schiffversicherer zusammengeschlossen, die 90 Prozent des Seetransports abdecken.

Für Ölmarkt-Experte Bukold liegt hier deswegen der effektivere Schlüssel, um gegen russische Öl-Exporte vorzugehen. „Besser wäre es“, sagt er, „die sogenannten sekundären Sanktionen auch in Europa zu verschärfen.“ Gemeint sind Verbote oder eben eine Preisgrenze, an die sich Logistik-Unternehmen und Versicherer aus der EU und den G7-Staaten halten müssten, wenn sie mit russischem Öl Geschäfte machen.

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Die Lage für die bereits angeschlagene russische Wirtschaft würde sich in diesem Fall weiter verschlechtern. Um seinen Krieg zu finanzieren sowie die teuren Entlastungspakete für Wirtschaft und Bevölkerung zu stemmen, müsste Moskau mehr und mehr auf seine Reserven zurückgreifen.  

Bis Juli hätte Russland bereits 57 Milliarden seiner Reserven aufgebraucht. „Stand jetzt dürften es mehr als 75 Milliarden Dollar sein“, so Ökonom Wyrebkowski. Insgesamt schätzen Experten die für Russland zugänglichen Geldreserven auf 300 Milliarden Dollar, ein Drittel davon jedoch in chinesischen Yuan, die von der Führung in Peking erst freigegeben werden müssen.

Weil die EU-Importe, wenn auch langsam, zurückgehen und in absehbarer Zeit nahezu ganz wegfallen werden, weiten China und Indien ihre Importmengen aus. Russland bietet dafür sein Öl deutlich unter dem Marktpreis an. Sollten sich die Sanktionen von EU und G7 jedoch auch auf Transporteure und Versicherungen erstrecken, könnte es trotz der Billig-Preise „selbst für Indien und China auf Dauer unattraktiv sein, die russischen Ölmengen zu übernehmen, die ab Dezember nicht mehr in der EU abgesetzt werden dürfen“, sagte Bukold.

Aufgrund der vielen griechischen Reedereien muss vor allem die Regierung in Athen, neben dem rechtspopulistischen Ungarn, überzeugt werden. Wie immer braucht es für neue Sanktionen die Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedern. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Anfang September noch betont, ein Preisdeckel wirke nur, wenn er global organisiert sei.

Kommende Woche trifft er die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs bei einem informellen Gipfel in Prag. Es wird erwartet, dass dort ein achtes Sanktionspakt auf den Weg gebracht wird – inklusive Ölpreisdeckel. In welchem Umfang die russische „Tankstelle“ danach noch weiter Öl verkaufen kann, hängt jedoch eher vom Kleingedruckten ab.

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