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Politik: „Europa hat einen der Schlüssel zum Gefängnis meines Vaters“

Nach der Niederschlagung von Protesten in Weißrussland hoffen Opposition und die Familien der Inhaftierten auf die EU

Berlin - Dieses Jahr hat Alexander Kosulin zum orthodoxen Weihnachtsfest keinen Baum geschmückt, zum ersten Mal in seinem Leben. „Selbst im Gefängnis haben wir das getan.“ Der weißrussische Oppositionelle hatte bei der Präsidentschaftswahl 2006 kandidiert und saß daraufhin zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Nach der brutalen Niederschlagung von Protesten gegen Wahlfälschungen am 19. Dezember 2010 war Kosulin und vielen anderen Weißrussen nicht nach Feiern zumute: „In Weißrussland herrschen Leid und Trauer“, sagte Kosulin am Dienstag in Berlin. „Das darf den Bürgern Europas nicht gleichgültig sein.“ Nach der Wahl im Dezember waren etwa 700 Menschen festgenommen worden, die Sicherheitskräfte gehen massiv gegen Opposition und Journalisten vor. Mehr als 20 Oppositionelle müssen lange Haftstrafen fürchten.

Die Frau des Dichters und Präsidentschaftskandidaten Uladzimir Nekljajew stand am Weihnachtstag mit Schokolade vor dem KGB-Gefängnis in Minsk. Dort versammeln sich Tag für Tag Angehörige der Inhaftierten, um ihnen etwas zu essen zukommen zu lassen oder vielleicht eine Nachricht darüber zu erhalten, wie es ihnen geht. Jede einzelne Süßigkeit musste Nekljajews Frau aus der Folie auswickeln, weil überraschend die Anweisung geändert worden war. Ob er die Schokolade bekommen hat, weiß sie nicht. Seit zwei Wochen haben die Angehörigen bereits nichts mehr von dem 64-Jährigen gehört. „Aus dem KGB-Gefängnis gelangen kaum Informationen nach außen. Wir sind sehr besorgt“, sagt Eva Nekljajewa, die Tochter des Präsidentschaftskandidaten.

Nekljajew war am 19. Dezember von Sicherheitskräften bewusstlos geschlagen worden und kam mit einer schweren Kopfverletzung ins Krankenhaus. Mitten in der Nacht stürmten schwarz gekleidete Männer in Nekljajews Krankenzimmer. Sie hielten seine Frau fest, die verzweifelt um Hilfe schrie. Den Schwerverletzten, der nicht mehr laufen konnte, wickelten sie in eine Decke und verschleppten ihn aus dem Krankenhaus. „Eine Woche lang hörten wir nichts von ihm. Wir wussten nicht einmal, ob er noch am Leben war“, sagt Eva Nekljajewa. Erst beim Verhör im KGB-Gefängnis sah ihn seine Anwältin. Doch bisher konnte sie nicht mit ihm unter vier Augen sprechen. Am 29. Dezember wurde Nekljajew angeklagt, „Massenunruhen“ organisiert zu haben. Seiner Anwältin fiel auf, dass er gesundheitlich angeschlagen aussah. Auf Nachfrage erfuhr sie, dass Nekljajew kurz zuvor in seiner Zelle das Bewusstsein verloren hatte. „Mein Vater wäre beinahe im Gefängnis gestorben“, berichtet die Tochter. Die Familie beantragte, dass er in ein Krankenhaus gebracht wird, doch dies wurde abgelehnt. „Es geht nicht mehr um seine Freiheit, sondern um sein Leben“, sagt Eva Nekljajewa.

Die Familien der Inhaftierten und die Opposition hoffen nun auf Europa: „Es darf keinen Dialog mit dem Regime geben, bevor nicht alle politischen Gefangenen frei sind“, betont die Tochter des Dichters. „Europa hat einen der Schlüssel zum Gefängnis meines Vaters.“ Kosulin kritisierte, die EU habe ihr „eigenes Spiel mit dem Diktator gespielt“. Für die Weißrussen habe dies ein trauriges Ende genommen. „Auf einen Diktator kann man nicht einfach freundlich einreden“, mahnte Kosulin. An Deutschland appellierte er, einen Politikwechsel gegenüber Weißrussland einzuleiten. Kosulin weiß aus eigener Erfahrung, dass Druck auf das Regime von Alexander Lukaschenko Wirkung zeigt. Er sei freigelassen worden, nachdem die USA wirtschaftliche Sanktionen verhängt hätten. „Es wurde für das Regime einfach zu teuer, mich festzuhalten.“

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