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Politik: Experiment gescheitert

Die UN wollten auf Zypern einen neuen Staat erfinden – so bald werden sie es nicht wieder versuchen

NACH DEM ZYPERN–REFERENDUM

Selten haben so wenige Wähler über so viel entschieden wie beim Referendum über den UN-Wiedervereinigungsplan für Zypern. Den etwa 450 000 Zyperngriechen und 120 000 Zyperntürken, die am Samstag getrennt über die Wiedervereinigung abstimmten, ging es um ihre blutige Vergangenheit und eine friedliche Zukunft, um ihr Erbe und ihre Existenz und teilweise sogar um Leben oder Tod. Weit über Zypern hinaus werden das deutliche Nein der griechischen und das klare Ja der türkischen Volksgruppe aber auch Konsequenzen für Europa und die Vereinten Nationen haben.

„Oxi" auf Griechisch, „evet" auf Türkisch: Am griechischen „Nein" scheiterte trotz türkischem „Ja" der Wiedervereinigungsplan, den die UN den Zyprioten unterbreitet hatten. Der Plan sah die Gründung eines gemeinsamen Bundesstaates auf der seit 30 Jahren geteilten Insel vor, in dem beide Volksgruppen weitgehend autonom gewesen wären. So einfach der Plan klang, so kompliziert waren die Einzelheiten, die rund 9000 Seiten füllten.

Einfach ist nichts auf Zypern. Die erste gemeinsame Republik, 1960 von der britischen Kolonialmacht in die Unabhängigkeit entlassen, scheiterte schon nach drei Jahren, als die griechische Mehrheit die Schutzrechte der türkischen Minderheit auszuhebeln begann und den Anschluss an Griechenland propagierte. Nach einem Jahrzehnt blutiger ethnischer Unruhen und einem griechischen Putschversuch marschierte 1974 die türkische Armee auf Zypern ein und besetzte das nördliche Inseldrittel.

Seither bewegte sich nichts mehr auf Zypern, bis die Europäische Union im vergangenen Jahr die Aufnahme der Insel zum 1. Mai dieses Jahres beschloss und die Vereinten Nationen ihren Wiedervereinigungsplan vorlegten. Hätten beide Volksgruppen zugestimmt, wäre nächste Woche die gesamte Insel in die EU aufgenommen worden. Nun aber wird die zyperngriechische Republik alleine EU-Mitglied.

Trotzdem wird nach dieser Abstimmung nichts mehr so sein wie zuvor. Auch wenn eine offizielle Anerkennung der „Türkischen Republik Nordzypern“ weiter ausgeschlossen bleibt, so betritt nach dem unterschiedlichen Ausgang des Referendums faktisch doch ein neuer Staat die Weltbühne. Die Europäische Union holt sich unterdessen mit der Aufnahme von Südzypern am nächsten Samstag eine akute Krise ins Haus. Zwar dürfte die zyperngriechische Regierung einen frostigen Empfang in Brüssel bekommen, wo sie für das Scheitern der Wiedervereinigung verantwortlich gemacht wird. Völkerrechtlich sind es trotz erwiesenen Einigungswillens aber die Türken, die ab nächster Woche als widerrechtliche Besatzer auf EU-Gebiet gelten müssen – ein politischer Albtraum für alle Beteiligten, zumal die Türkei ja selbst EU-Bewerberin ist.

Auch für die Vereinten Nationen bedeutet das Ergebnis einen schweren Schlag. Noch nie zuvor waren die UN so weit gegangen, ein Land neu zu erfinden und auch gleich seine Verfassung zu schreiben; nach dem vernichtenden Ergebnis des Referendums dürften sie es so bald auch nicht wieder tun. Einen neuen Anlauf auf Zypern werde es jedenfalls nicht mehr geben, sagte UN-Generalsekretär Kofi Annan. Die Insel bleibt geteilt – und das ist schließlich auch eine Lösung der Zypernfrage.

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