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© dpa

Online-Durchsuchung: Experten geben BKA-Gesetz ihren Segen

Bundestagsgutachter rügen jedoch mangelnden Schutz der Presse und Verfassungsrichter warnen vor Ermittlungen "ins Blaue". Ein erneuter Streit um die Online-Durchsuchung entfacht.

Berlin – Die Chancen auf eine schnelle Verabschiedung des neuen Bundeskriminalamtsgesetzes (BKAG) sind gestiegen. Wie aus den Stellungnahmen der am kommenden Montag vom Bundestags-Innenausschuss geladenen Sachverständigen hervorgeht, gibt es nur wenige grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken. Überwiegend bescheinigen die Gutachter dem Gesetzgeber, Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrechtschutz, insbesondere zur Wahrung der Privat- und Intimsphäre, angemessen berücksichtigt zu haben.

Deutliche Kritik gab es am Schutz bestimmter Berufsgruppen vor staatlicher Ausforschung. Gerade bei der Presse, rügt der Bielefelder Staatsrechtler Christoph Gusy, verharre er „auf niedrigem Niveau“ und werde den vom Verfassungsgericht jüngst wieder hervorgehoben Grundsätzen „in keiner Weise gerecht“. „Das gilt umso mehr, als die Presse bei der Kontrolle staatlicher Maßnahmen zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr eine hohe rechtliche und praktische Bedeutung erlangt“. Auch Anwaltsverbände beklagen, das BKAG beeinträchtige das Vertrauen ihrer Mandantschaft.

Mit dem neuen BKAG soll das Bundeskriminalamt erstmals präventive Befugnisse zur Terrorabwehr erhalten, darunter das Recht auf die vielfach diskutierte Online-Durchsuchung von Computern mittels via E-Mail eingeschleuster Spähprogramme. Insbesondere die Union dringt darauf, das Gesetz rasch zu verabschieden. Ihr Innenexperte Wolfgang Bosbach sprach erst kürzlich von mehr als 50 Deutschen in Terrorlagern der Taliban. Bei der Bundesanwaltschaft liefen 200 Ermittlungsverfahren mit terroristischem Hintergrund. Grund der Eile dürfte auch sein, das sicherheitspolitisch umstrittenste Vorhaben der letzten Jahre dem nahenden Wahlkampf zu entziehen.

Der als kritischer Polizeirechtler bekannte Gusy schreibt weiter, der vorgelegte Entwurf enthalte „keine grundsätzliche Verschiebung des Koordinatensystems von Freiheit und Sicherheit zu Lasten der Freiheit“. Er gehe in den meisten Eingriffsermächtigungen nicht über das hinaus, was die Sicherheitsbehörden nach Bundes- und Landesrecht schon jetzt dürften. Die Rechtsexperten würdigten weiter, der Gesetzentwurf folge bis in den Wortlaut hinein den in den Karlsruher Urteilen aufgezeigten Grenzen. „Die geforderten hohen Eingriffsschwellen wurden gesetzt“, schreibt der Passauer Jurist Dirk Heckmann. Trotz der „unbestritten hohen Eingriffsintensität“ in die Grundrechte der möglichen Betroffenen seien die Maßnahmen bestimmt und verhältnismäßig. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar zweifelte zwar an der Erforderlichkeit einzelner Instrumente und forderte im Detail einen größeren Schutz der Persönlichkeitsrechte, sieht jedoch keine Regelung als explizit verfassungswidrig an. Er gab zu bedenken, „ob die mit der Online-Durchsuchung verbundenen Risiken für die informationstechnischen Systeme wirksam zu beherrschen sind.“

Fast durchweg kritisch beurteilen die Experten dagegen eine Formulierung, auf die auch der Tagesspiegel unmittelbar nach Vorstellung des Entwurfs im April aufmerksam gemacht hatte: Danach dürfen Ermittler nur dann nicht auf Festplattenmaterial zugreifen, wenn sie „allein“ Daten aus dem Privat- und Intimbereich enthielten. Da man dies praktisch nie vorher wissen könne, liefe die Schutzvorschrift leer, hieß es. In allen anderen Fällen aber die Überwachungsmaßnahme zuzulassen, „würde den vom Bundesverfassungsgericht postulierten Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu völliger Bedeutungslosigkeit verurteilen“, schreibt der Berliner Staatsrechtler Martin Kutscha. Auch sollten einigen Experten zufolge nur unabhängige Richter heimlich gewonnene Aufnahmen und Dateien sichten und nicht, wie bei der Online-Durchsuchung, BKA-Beamte.

Kollisionen mit dem Bundesverfassungsgericht sind dennoch nicht ausgeschlossen, wie sich gerade in der Praxis erweisen wird: Das BKA wird mit reichlich Personal und Geld zu einer schlagkräftigen Behörde ausgebaut, hierin sieht auch Gusy die eigentliche „Neujustierung von Freiheit und Sicherheit“. Und der Präsident des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen-Papier warnte Gesetzgeber und Exekutive am Montagabend bei einer Rede in der Friedrich-Naumann-Stiftung in Nürnberg gerade bei der Online-Computerdurchsuchung vor „Ermittlungen ins Blaue hinein“.

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