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Pflegereform: Expertenrat bleibt vage

Seit sieben Jahren beschäftigen sich Experten mit der Neudefinition von Pflegebedürftigkeit. Doch ihr Schlussbericht enthält nicht einmal konkrete Kostenszenarien.

Von der Aufgabenstellung her ist es das größte Reformvorhaben seit Erfindung der Pflegeversicherung – und mit Unterbrechungen brüten Experten inzwischen seit sieben Jahren darüber. Schließlich geht es um nichts weniger als die Neudefinition von Pflegebedürftigkeit. Mit Blick auf die zunehmende Zahl Demenzkranker soll geistige Beeinträchtigung im Leistungsrecht den gleichen Stellenwert erhalten wie körperliche, am Dienstag abend befassten sich die 37 Beiratsmitglieder eines von der Bundesregierung eingesetzten Expertenrats ein letztes Mal damit. Doch wenn sie am 24. Juni ihren Abschlussbericht vorlegen, werden sich viele fragen, was das Ganze überhaupt sollte. Erstens lässt sich das Projekt in dieser Legislatur ohnehin nicht mehr umsetzen. Und zweitens wird der Expertenrat die entscheidenden Fragen wohl unbeantwortet lassen. In dem Berichtsentwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt, findet sich dafür auf 218 Seiten kein einziges konkretes Szenario zu Umfang und Kosten des Vorhabens.

„Wir werden eine inhaltsleere Frechheit überreichen, ohne dass ersichtlich wird, was für die Pflegebedürftigen dabei herumkommt“, lässt sich ein frustriertes Beiratsmitglied von der „taz“ zitieren. Von anderen ist zu hören, dass man nichts dafür könne, die Unverbindlichkeit sei politisch gewollt gewesen. Bis zuletzt habe sich das Gesundheitsministerium geweigert, einen für genauere Rechnungen nötigen Finanzrahmen vorzugeben.

So beschränkt sich der mit Spannung erwartete Bericht auf das sattsam Bekannte: Dass man aus den drei Pflegestufen fünf machen will, die sich an der Selbstständigkeit der Betroffenen orientieren. Und dass auch Betreuung eine „gleichwertige und regelhafte“ Leistung der Pflegeversicherung werden soll. Dazu ein paar Beispielrechnungen – mit dem Hinweis, dass alles von der Ausgestaltung abhänge. Welchem Demenzkranken soll wie viel Betreuung zukommen, was kann und muss Angehörigen überlassen bleiben? „Man will Hunderttausende besser stellen und das Demografieproblem in den Griff bekommen, es soll aber nichts kosten“, sagt ein Beiratsmitglied. Er nennt dies eine „Quadratur des Kreises“. Mit der Forderung nach einem „kostenneutralen Szenario“ hätten vor allem die Arbeitgeber gebremst. So sei das Ganze zur „Alibiveranstaltung “ verkommen. Ein anderer ist sich sicher, 2009 schon weiter gewesen zu sein. Damals habe man wenigstens Finanzszenarien entwickeln dürfen. Geschätzte Mehrkosten seinerzeit: bis zu vier Milliarden Euro.

Mit der Begründung, „keinen politischen Willen für die Finanzierung gesehen“ zu haben, hatte der frühere Beiratschef Jürgen Gohde Ende 2011 hingeworfen. Auch jetzt hagelt es harsche Kritik. „Eine Expertenkommission, die sich davor drückt, die Frage zu beantworten, was ein pflegebedürftiger Mensch konkret braucht und was eine entsprechende Unterstützung kosten würde, ist überflüssig“, wettert der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider. Hilde Mattheis (SPD) nennt den Bericht ein „stumpfes Schwert“. Und Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand wirft dem Gesundheitsminister vor, alles „verzögert und verschleppt“ zu haben.

Dass es mit der Reform noch lange nichts wird, haben übrigens auch die Experten aufgeschrieben. Selbst wenn die Neudefinition Gesetzeskraft erlangt habe, zögen für die komplexe Umsetzung noch mindestens 18 Monate ins Land. Und diese Zeitplanung sei „als ambitioniert anzusehen“.

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