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Das Foto aus dem Jahr 2011 zeigt Gebäude der Militärbasis von Nyonoska.

© AFP

Explosion auf Raketen-Testgelände: Was über den mysteriösen Atom-Unfall in Russland bekannt ist

Fünf Tage nach dem atomaren Unfall auf einem Militärstützpunkt räumt Russland eine zeitweise höhere radioaktive Strahlung ein. Experten sind besorgt.

Von Oliver Bilger

Im Umgang mit nuklearen Zwischenfällen ist Moskau berüchtigt. Jetzt sorgt eine weitere Panne für Unruhe, nachdem es vor knapp einer Woche zu einer Explosion auf einem Raketen-Testgelände in Nordrussland gekommen ist. Informationen darüber, was genau geschah, sind – wie in solchen Fällen üblich – spärlich. Erst am Samstag hatten Behörden den atomaren Charakter des Unglücks eingeräumt. Doch nach und nach gelangen immer mehr Details an die Öffentlichkeit. Experten sind besorgt.

Dass bei dem Vorfall über einen längeren Zeitraum radioaktive Strahlung freigesetzt worden ist als bislang bekannt, ist dabei nur die jüngste beunruhigende Information. Das in der Natur vorkommende radioaktive Niveau sei in der Spitze um das 16-fache überschritten worden, teilte der russische Wetterdienst Rosgidromet am Dienstag mit. Erhöhte Werte seien für einen Zeitraum von zwei Stunden gemessen worden. 

Das Unglück ereignete sich vergangenen Donnerstag offenbar auf einer Plattform im Meer auf dem militärischen Testgelände bei Njonoksa, das rund 30 Kilometer von der Stadt Sewerodwinsk entfernt ist. Die Stadt am Weißen Meer ist militärisches Sperrgebiet, dort befindet sich eine Werft, in der Atom-U-Boote gebaut werden. Die Großstadt Archangelsk mit rund 350.000 Einwohnern ist nicht weit entfernt.

Russische Behörden empfahlen den Bewohnern des Dorfes Njonoksa, ab Mittwoch ihren Wohnort zu verlassen, berichtete die Nachrichtenagentur Interfax. Dies wurde mit erforderlichen Maßnahmen des Militärs begründet. In dem Ort sollen ungefähr 450 Menschen leben.

Die Explosion ereignete sich nach Angaben des staatlichen Atomkonzerns Rosatom zufolge, als Treibstoff in Brand geriet.

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Der russische Umweltaktivist Wladimir Sliwjak, Vorsitzender der Organisation Ökoverteidigung, teilte eine Aufnahme eines lokalen Fernsehsenders, die die Explosion zeigen soll. Eine Plattform im Meer ist darauf allerdings nicht zu erkennen. Das sei auch nur die offizielle Statement, sagt er und hat große Zweifel an deren Wahrheitsgehalt.

„Die Aussage stimmt definitiv nicht.” Das Verteidigungsministerium und Rosatom müssten „aufhören zu lügen“, fordert Sliwjak. Die Behörden müssten endlich die Wahrheit preisgeben.

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Zunächst hatte das Verteidigungsministerium in Moskau von zwei Toten und sechs Verletzten gesprochen. Die Atombehörde Rosatom korrigierte die Angaben später auf fünf Tote und drei Verletzte. Zuletzt ist die Zahl der Todesopfer auf sieben gestiegen.

Das Verteidigungsministerium erklärte am Donnerstag zudem, die Strahlungswerte seien unverändert. Die Behörden in Sewerodwinsk erklärten, zwar sei radioaktive Strahlung freigesetzt worden jedoch nur kurzzeitig. Danach seien keine erhöhten Werte gemessen worden. Sie stellten am Donnerstag die Information auf die städtische Homepage, dass „ein kurzer Anstieg des Strahlenniveaus“ festgestellt worden sei. Diese Information wurde inzwischen gelöscht. Russische Online-Medien berichteten aber, auf einem Video sei zu sehen, wie die Verletzten des Unglücks in Moskau zu einer Spezialklinik für Strahlenopfer gefahren wurden. Viele Menschen in der Region hatten sich dennoch mit Jodtabletten aus Apotheken eingedeckt.

Russland baut neue Atomwaffen

Nun gab der Wetterdienst den Höchstwert der atomaren Verstrahlung mit 1,78 Mikrosievert pro Stunde an. Der natürliche Wert im Raum von Sewerodwinsk liege bei 0,11 Mikrosievert. Die Umweltorganisation Greenpeace sprach unter Berufung auf die Stadt von 2,0 Mikrosievert pro Stunde. Deren Experten hielten den Wert „an sich für nicht dramatisch“. Es komme vielmehr darauf an, welche strahlenden Stoffe freigesetzt worden sein. Dazu gebe es aber keine offiziellen Angaben. Der gesetzliche Grenzwert liegt in Russland bei 0,6 Mikrosievert. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) steigt das Krebsrisiko jedoch erst ab 50.000 Mikrosievert.

Rosatom bestätigte, dass Rüstungsexperten in der Basis an „neuen Waffen“ arbeiteten. Allerdings nannte Rosatom in der Erklärung keinen konkreten Waffentyp. 

US-Experten sind der Ansicht, es habe sich um eine atomar betriebene Rakete vom Typ 9M730 Burewestnik gehandelt. Diese Rakete wurde im Februar erstmals von Präsident Wladimir Putin vorgestellt, der sie als "unbezwingbar" und für die gegnerische Luftabwehr „nicht aufzuspüren” bezeichnete. Im Nato-Jargon werden die Raketen vom Typ Burewestnik ("Sturmvogel") auch als SSC-X-9 Skyfall bezeichnet.

US-Präsident Donald Trump bezeichnete den Unfall auf Twitter in der Nacht zu Dienstag als lehrreich für die USA. Die Vereinigten Staaten „lernten viel” von dieser „Raketenexplosion”, schrieb Trump auf Twitter. Er führte ins Feld, dass die USA über eine „ähnliche, wenngleich weiterentwickelte“ Technologie verfügten.

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Für die umgekommenen Rüstungsexperten wurde am Montag in der Stadt Sarow, die fast vollständig von der Öffentlichkeit abgeschirmt ist, eine Trauerzeremonie veranstaltet. Der frühere Rosatom-Chef Sergej Kirienko würdigte die Getöteten als „wahre Helden“. 

Der aktuelle Rosatom-Chef, Alexej Lichatschow, kündigte an, die Raketentests fortzusetzen und sagte mit Blick auf die Todesopfer: „Das beste Andenken an sie wird die Arbeit an neuen Waffen sein, die zu Ende geführt wird.“

Der Kreml versicherte, dass alle Behörden die vollständige Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet hätten. „Daran sollte kein Zweifel bestehen“, sagte Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge.

Kritik aus dem Ausland

Im Ausland gibt es jedoch die Befürchtung, dass die russischen Behörden - wie in der Vergangenheit – nicht über das wahre Ausmaß des Unfalls informiert hätten.

Sewodwinsk sei nach der Rutheniumwolke aus dem Jahr 2017  „ein weiterer Beweis dafür, dass Putins Russland bei nuklearen oder anderen gefährlichen Unfällen kein Verantwortungsbewusstsein zeigt”, schrieb die ehemalige Europaabgeordnete der Grünen, Rebecca Harms, auf Twitter und kritisierte “Verschleiern und Herunterspielen” als “widerliche” Reaktion der Behörden. Wichtig seien Transparenz, schnelle Information und Schutz der Bürger. 

Ähnlich äußerte sich auch Sylvia Kotting-Uhl, Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, auf Tagesspiegel-Anfrage. „Mehr als drei Jahrzehnte seit Tschernobyl – und Moskau hat nichts dazugelernt, sondern mauert und vertuscht.”

Russlands Umgang mit Atom-Unfällen sei, so die Grünen-Abgeordnete „inakzeptabel und eine Gefahr für Europa”. Im aktuellen Fall verbreite das russische Verteidigungsministerium Unwahrheiten, kritisierte sie.

Seit fast zwei Jahren verhindere Russland zudem die Aufklärung „des gravierendsten Atomunfalls seit Fukushima”, kritisiert Kotting-Uhl. Immer erdrückender würden die Indizien, dass sich der Ruthenium-Unfall in der Wiederaufbereitungsanlage Majak im Südural ereignete, sagte Kotting-Uhl weiter. Die offizielle Linie Moskaus bleibe, es sei nichts passiert und weitere Aufklärung unangemessen, erklärte die deutsche Politikerin. „Die Bundesregierung darf das nicht hinnehmen. Sie muss in beiden Fällen konsequent auf Aufklärung dringen und die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen.”

Anfang Juli hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow außerdem die Hintergründe eines verheerenden Brandes an Bord eines russischen U-Boots zum „Staatsgeheimnis" erklärt, bei dem 14 Marine-Soldaten ums Leben gekommen waren. Der Brand wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau unter Kontrolle gebracht, bevor der Atomreaktor des U-Boots beschädigt wurde. (mit dpa, AFP)

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