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Politik: Extrem gefährdet

In Afghanistan werden längst auch Zivilisten Opfer von Entführungen – die lokale Polizei ist machtlos

Von Hans Monath

Berlin - Die rund 40 Diplomaten und Angestellten der deutschen Botschaft in Kabul führen schon lange ein sehr begrenztes Leben: Den Vertretern der Bundesregierung in Afghanistan, die sich hinter meterhohen Betonsperren verschanzen müssen, ist nicht einmal mehr das morgendliche Joggen erlaubt. Denn auch Zivilisten sind längst zum Ziel von Selbstmordanschlägen und politisch motivierten Entführungen geworden.

Die Diplomaten und ihre Helfer bilden nur einen kleinen Teil der rund 500 deutschen Staatsbürger, die dauerhaft in Afghanistan leben. Auch Entwicklungshelfer, Unternehmensvertreter, Polizeiausbilder, bei nichtdeutschen Firmen angestellte Spezialisten oder engagierte deutsche Helfer, die seit vielen Jahren private humanitäre Projekte betreuen, bleiben im Land. Manche der Deutschen verlassen sich auf den Schutz durch ihren engen Kontakt zu den Einheimischen oder trauen sich zu, nach gründlicher Vorbereitung auch in solche Regionen zu reisen, die als Taliban-Hochburgen gelten.

Da der politische Wille der Dschihadisten, Deutschland zu erpressen, so offensichtlich ist, agieren der Krisenstab des Auswärtigen Amtes (AA) und die Bundesregierung im jüngsten Entführungsfall besonders vorsichtig. So warnen Sicherheitsexperten seit Wochen davor, dass den Deutschen in Afghanistan ein gefährlicher Sommer bevorstehe. Vor der Entscheidung des Bundestages über die Verlängerung des deutschen Militäreinsatzes in dem Land seien deutsche Soldaten, Polizeiausbilder, zivile Helfer und Botschaftsangehörige extrem gefährdet, sagte Innenstaatssekretär August Hanning im Juni. Denn die Taliban und die wiedererstarkte Terrorgruppe Al Qaida, die über Mittelsmänner die politische Debatte in Deutschland genau verfolgten, wollten durch Anschläge und Entführungen einen Abzug der Bundeswehr erzwingen.

Aber auch jenseits von politisch motivierten Gewalttaten ist die Sicherheitslage in dem armen Land nach Jahrzehnten der Gewalterfahrung sehr prekär. So verweisen deutsche Experten etwa darauf, dass in der Region Kundus im Norden mit ihren rund 700 000 Einwohnern pro Tag rund 15 bis 20 „gewöhnliche“ Morde begangen werden – umgerechnet auf die Einwohnerzahl Berlins würden täglich mehr als 70 Menschen in der deutschen Hauptstadt auf gewaltsame Weise ihr Leben verlieren. In der Provinz, in deren Hauptstadt ein deutsches Wiederaufbauteam von Bundeswehr und Entwicklungsexperten seinen Sitz hat, wurden seit dem Frühjahr 2007 ein deutscher und später ein einheimischer Mitarbeiter der Welthungerhilfe erschossen.

Zudem sind die afghanischen Sicherheitsbehörden oft nur eine schwache Hilfe. Selbst auf konkrete Hinweise auf Hintermänner von Terrorangriffen reagierten sie häufig „mit einer Mischung aus Resignation und Unvermögen“, sagt ein deutscher Experte. Über konkrete Schritte zur Aufklärung des Entführungsfalles in Wardak macht das Auswärtige Amt keinerlei Angaben. Doch dürfte auch die Verlässlichkeit der regionalen Behörden für die Krisenmanager ein Problem darstellen. So bemühen sich die Helfer, durch Tatsachen ihren Verdacht zu erhärten, dass die Taliban aus einem gewöhnlichen Kriminalfall einen Propagandaerfolg machen wollen. Auch die Afghanistan-Expertin Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik zweifelt daran, dass die beiden Deutschen tatsächlich von den Taliban gekidnappt wurden.

Wie ernst die Bundesregierung die Angelegenheit nimmt, zeigt sich unter anderem daran, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die ursprünglich für Sonnabend geplante Aufzeichnung des ARD-Sommerinterviews kurzfristig um einen Tag verschob. Anfang kommender Woche kann sich die Regierungschefin ein vertieftes Bild von der Lage in Afghanistan und den Lebensbedingungen Deutscher in Kabul machen: Am Dienstag trifft sie gemeinsam mit mehreren Fachministern den UN-Sonderbeauftragten Tom Koenigs zum Gespräch. Der frühere Grünen-Politiker warnte am Samstag in der ARD, „jedes Schwächeln“ eines in Afghanistan engagierten Staates werde von den Taliban ausgenutzt und als Sieg gefeiert.

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