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 Schild am Eingang der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Ellwangen, wo etwa 200 Migranten zunächst die Abschiebung eines Mannes verhinderten.

© Daniel Maurer/dpa

Nach dem Vorfall in Ellwangen: Falsche Gäste und beleidigte Gastgeber

Horst Seehofer sollte nicht den empörten Innenminister spielen, sondern seinen Schutzpflichten gegenüber den Asylbewerbern nachkommen. Eine Kolumne.

Am Begriff des Gastrechts wird deutlich, wie irreführend Seehofers Worte nach der Polizei-Razzia in der Erstaufnahmestelle Ellwangen waren. Drei Tage zuvor hatten Geflüchtete die Polizei bei einer Abschiebung zunächst gehindert. Von einem „Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“, sprach Seehofer, weil „das Gastrecht nicht mit Füßen getreten werden“ dürfe. Aber Geflüchtete können das Gastrecht ja gar nicht mit Füßen treten, denn sie haben es nie in Anspruch genommen, es wurde ihnen niemals gewährt. Sie kommen nicht als „Gäste“, wie der Satz suggeriert, sondern als Menschen, die sich auf der Flucht vor einer für sie nicht tragbaren Lage befinden. Und damit nehmen sie ihr Recht auf Asyl in Anspruch. Dieses ist es, das im Grundgesetz verankert ist. Nicht Gastrecht: sondern Asylrecht.

Eine solche Rhetorik stellt eben nicht auf geltendes Recht ab, sie spaltet: auf der einen Seite die gutmütigen Gastgeber, auf der anderen Seite die geduckten Gäste, die dankbar sein sollten, und wehe, einer muckt auf. Dann gilt es dagegen in „aller Härte“ vorzugehen. Die Sprache der Eskalation also anstelle des Vokabulars des Rechtsstaates.

Das Recht auf Asyl erfordert keine Dankbarkeit

Eigentlich sollte auf der einen Seite nicht der empörte Gastgeber stehen, sondern der Staat, der seinen Schutzpflichten nachkommen muss. Denn er sieht sich Rechteinhabern gegenüber. Diese müssen nicht dankbar sein, dass sie ihre Rechte geltend machen dürfen. Die Rechte stehen ihnen zu: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (GG Art. 16a). Ob über diese Pflichten und Ansprüche hinaus sich jemand dankbar fühlt oder nicht oder andere Empfindungen hegt, ist ein ganz anderes Thema und legitimiert kein staatliches Vorgehen gegen Geflüchtete. Machen diese sich strafbar, greifen Regularien. Wird ihr Antrag abgelehnt, können sie im gesetzlichen Rahmen widersprechen. Verlassen sie diesen, greifen Regularien, aber das hat dann nichts mit Dankbarkeit oder Gastlichkeit zu tun. Das alles beiseitegeschoben: Sich im Abschiebeprozess noch als Gastgeber aufzuspielen, ist jedenfalls mindestens absurd.

Diese spaltende Rhetorik verschleiert auch: Es wurde so viel geredet und berichtet, aber was genau geschah in Ellwangen eigentlich? Wie haben die Geflüchteten erlebt, was dort geschah? Weshalb haben 150 bis 200 Geflüchtete die Abschiebung verhindern wollen und wie sind sie genau dafür vorgegangen? Kommt so etwas häufiger vor und wie reagiert die Polizei dann? Was auch immer die Antworten sind, in der ganzen Diskussion fehlt eine entscheidende Perspektive: nämlich die der Geflüchteten. Ihre Meinung scheint nicht zu zählen in der medialen und politischen Öffentlichkeit, obwohl sie es sind, die von Flüchtlingspolitik und Abschiebepraxis betroffen sind.

Für den Innenminister hingegen taugt die Debatte als Kampagne für abgesperrte Riesenlager, in denen Geflüchtete auf eine Entscheidung warten sollen, als wären sie Kriminelle. So genannte Anker-Zentren, deren maritimes Akronym keine besonders gastliche Agenda abkürzt: Ankunft, Entscheidung, Rückführung. Wenn hier etwas „ein Schlag ins Gesicht des rechtstreuen Bürgers“ war, dann eine solche Instrumentalisierung von marginalisierten Menschen für die eigenen politischen Ziele: alles – Gastrecht, Asylrecht – verdrehen, den beleidigten Gastgeber spielen, Schwierigkeiten in der Abschiebepraxis als Angriff auf den Rechtsstaat inszenieren und die Personen, um die es geht, nicht zu Wort kommen lassen. Das passt in die Logik des falschen Gastgebers: Er redet, die anderen haben zu schweigen.

Deniz Utlu

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