zum Hauptinhalt

Politik: Fast wie der junge Kohl (Leitartikel)

Politik ist in Deutschland schwer zu machen, aber leicht zu beschreiben: Seit zehn Jahren kauen die Parteien auf drei großen Reformen herum - Gesundheitssystem, Rente, Steuer. Vielleicht werden sie all das demnächst hinter sich haben.

Politik ist in Deutschland schwer zu machen, aber leicht zu beschreiben: Seit zehn Jahren kauen die Parteien auf drei großen Reformen herum - Gesundheitssystem, Rente, Steuer. Vielleicht werden sie all das demnächst hinter sich haben. Nur was danach kommen soll, wissen die Parteien nicht. Wie umzugehen wäre mit der Biotechnologie, den Folgen des Internets, der brutalen Beschleunigung des Alltags und des Wirtschaftens, darüber haben sie nicht einmal diskutiert. Das macht die Parteien nervös, sogar die PDS.

Bei der CDU wurde diese tiefgründige Verunsicherung verschärft durch die Spendenaffäre und die Führungskrise. Die Aufgabe des Essener Parteitags war zunächst Bewältigung der Vergangenheit - und Beruhigung der Gemüter. Denn nur wer sich selbst beruhigt, kann auch andere beruhigen. Angela Merkel ist es mit ihrer Rede gelungen, der CDU wieder Zutrauen zu sich selbst zu geben. Nicht, dass sie Antworten gegeben hätte. Weder auf die Frage, wie denn nun dieser vermaledeite Rentenkompromiss mit der Regierung aussehen soll. Noch auf die Frage, wie eine nationale Partei mit der wirtschaftlichen "Mobilmachung" (Blüm) umgehen soll. Bei den wirklichen Zukunftsfragen hat Angela Merkel keine Antworten gegeben, weil sie keine hat. Weil sie derzeit niemand hat.

Angela Merkel neigt nicht dazu, ihre eigenen Fragezeichen als stolz gespannte Ausrufezeichen durch einen Parteitag paradieren zu lassen, wie das Männer wie Edmund Stoiber gerne tun. Sie hat stattdessen gezeigt, dass sie die Sorgen der Leute und ihre Fragen kennt. Vage nur, ganz vorsichtig hat die neue Vorsitzende Konturen einer kommenden CDU gezeichnet. Ausführlicher als üblich widmete sie sich der Gentechnologie. Betont hat die ehemalige Umweltministerin auch die Ökologie. Als Angriff auf die Grünen, aber wohl auch in dem Wissen, dass die CDU einen strategischen Mangel an möglichen Koalitionspartnern hat. Beide Themen zielen auf die Hauptschwäche der Regierung. Ausgerechnet Rot-Grün schafft es zurzeit schwer, die von Globalisierung, Fusionitis und Beschleunigung ausgehenden Sorgen der Wähler zu bändigen. Sorgen, die längst in der gesellschaftlichen Mitte angekommen sind, auch in der Neuen Mitte.

Angela Merkel hat ein großes Talent dafür, die Menschen zu beruhigen. Sie ist darin Helmut Kohl ähnlich. Sie zielt auf das Gemüt, wie er. Sie begründet die europäische Perspektive aus der eigenen Biografie, wie er. Und sie wählt im politischen Machtkampf genauso zielsicher wie Kohl die unauffälligste, aber wirksamste Waffe: Auch Angela Merkel ist eine begabte Aussitzerin. Und wie es der Zufall will, wurde der Kohl-Nachfolgerin auch noch ein Schäuble-Nachfolger an die Seite gestellt, Friedrich Merz: intelligent, kenntnisreich, arrogant, beunruhigend, neoliberal. Merz wird jeden rot-grünen Fehler sezieren. Ohne einen solchen Mann hat die CDU keine Chance. Aber nur mit einem solchen Unruhepol kann sie Schröder nicht schlagen. Die leidige Frage der Kanzlerkandidatur ist innerhalb der CDU also leicht zu beantworten. Innerhalb. Und außerhalb?

Die Führungsfrage stellt sich künftig zwischen Angela Merkel und Edmund Stoiber, der in Essen versucht hat, so scharf zu sein wie Merz und so gewinnend wie Merkel. Kann er das auf Dauer? Populismus jedenfalls, den kann er. Bald wird Merkel ein paar Antworten geben müssen. Und wenn sie das nicht schafft - dann wird eben von einem ihrer Kollegen ein Sündenbock, ein Inder oder ein Türke, durch die politische Arena getrieben. Und wenn sie erst einmal auf diesem Niveau ist, dann gibt es auch keinen Grund mehr, Angela Merkel zu wählen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false