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Unfreiwillige Stadionbesucher. Syrische Flüchtlinge warten vor dem Olympiastadion. Dort werden sie aus Mangel an Alternativen untergebracht.

© dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Lampedusa auf bayerisch

Die CSU hat Flüchtlinge lange ignoriert und den Bau von Aufnahmelagern verweigert. Die Notleidenden leben im Freistaat unter unwürdigen Bedingungen - und der Winter naht.

Ein Wort macht in München immer häufiger die Runde, wenn es um die scheinbar übergroße Herausforderung geht, die vielen neuen Asylbewerber unterzubringen und anständig zu behandeln: Lampedusa. Das ist jene vor Tunesien gelegene italienische Mittelmeerinsel, die am häufigsten von afrikanischen Flüchtlingen angesteuert wird. Lampedusa – wo der Ausnahmezustand der Normalfall ist.

Flüchtlinge, die in der Münchener Bayernkaserne in einem Innenhof auf dem Boden schlafen, erinnern daran. Familien mit Säuglingen und Kindern harren im Notquartier im Kapuzinerhölzl aus – in Sommerzelten, auch wenn es heftig regnet. Ausgerechnet der Freistaat Bayern, in nahezu allen Klassen der Primus unter den Bundesländern, versagt bei der Unterbringung von Asylbewerbern auf ganzer Linie. Ausgerechnet in Bayern, das so stolz ist auf Prinzipien wie Leistung, Ordnung oder Stärke, sagt ein libyscher Asylbewerber an der zugigen Straße vor der Bayernkaserne: „Germany good. But organisation not good“ – Deutschland ist gut, aber die Organisation nicht.

Der Ausnahmezustand dauert nun schon seit knapp zwei Wochen an, seit es vor der einst von der Bundeswehr genutzten Bayernkaserne, einer von zwei Erstaufnahmestellen in Bayern, zu Protesten kam. Binnen Stunden wurde nachts die Zeltstadt als Ausweichquartier errichtet. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ließ die Kaserne nach einem Besuch, der ihm die Augen öffnete, für Neuankömmlinge schließen. Das war ein ebenso eigenmächtiger wie verzweifelter Akt: Denn Reiter ist für die Erstaufnahme gar nicht zuständig, sondern das der Staatsregierung unterstellte Regierungspräsidium. Er konnte dennoch handeln, weil das Gebäude der Stadt gehört.

Die verschiedenen Verantwortlichen denken und arbeiten mittlerweile kurzfristig. Florian Schlämmer vom Regierungspräsidium übt sich in Zweckoptimismus. „Die Lage wird ja langsam besser“, sagt er. In der Bayernkaserne seien mehrere Hallen und Garagen wieder frei, in denen Flüchtlinge einquartiert werden mussten, als gar nichts anderes mehr ging. Für etwa 1500 Menschen ist das verfallende Gelände mit den bröckelnden Armee-Bauten und der kilometerlangen Mauer ausgelegt. In letzter Zeit lebten dort 2400 oder 2600, so genau weiß das niemand. Und Schlämmer meint: „Wir sind über unserer Belastungsgrenze.“

Misshandlungsvorwürfe sind an der Tagesordnung

Und dann sind da auch noch die Vorwürfe von Misshandlung und rassistischer Beleidigung durch das Sicherheitspersonal aufgekommen. Ein Syrer hat in einem Interview gesagt, er sei von den Sicherheitsleuten getreten worden, als er auf dem Boden lag. Ein anderer Mann will von der Security gehört haben: „Ihr Muslime versteht nichts, ihr seid dumm.“

Schnell wurde daraus ein Fall für die Kriminalpolizei, mehrere Ermittler rückten an und vernahmen die Zeugen mit Dolmetscher. So soll Anfang September ein minderjähriger Flüchtling nach einem Streit von zwei Sicherheitsleuten geschlagen und am Boden liegend getreten worden sein. Am 9. Oktober soll ein Palästinenser auf den Boden geworfen worden sein, es folgten Tritte. Zwei Tage darauf wurde eine 17-jährige Jugendliche von einem Wachmann mit einem Schlagstock verletzt, sie musste in die Klinik eingewiesen werden. Mitte vergangener Woche wurde, so ein Zeuge, „Gewalt gegen ein Ehepaar sowie ihr neugeborenes Kind angewandt“. Vier Strafanzeigen wurden gegen Sicherheitsleute gestellt.

Politisch ist nun auch ein Kampf ausgebrochen, wer die Schuld trägt an den unwürdigen Zuständen. Die Landtags-SPD greift die CSU-Staatsregierung an. Fotos von Menschen, die im Freien schlafen müssen, seien ein „Ausweis der Schande“, poltert der Fraktionschef Markus Rinderspacher. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wiederum räumt „Probleme“ ein. Wenn es schlecht läuft, versucht er – wie so häufig – alle in ein Boot zu holen. Die Angelegenheit sei „nicht mit der Parteienbrille zu bewältigen“. Tatsächlich aber hat Seehofer das Thema nie interessiert. Forderungen nach weiteren Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seit mindestens einem Jahr schlichtweg ignoriert.

Ein Krisenstab versucht nun, von Tag zu Tag auf neue Entwicklungen zu reagieren. Diesem gehört Sozialministerin Emilia Müller (CSU) an, deren Mitgefühl man ihr abnimmt, im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Christine Haderthauer. Der Krisenstab muss etwa die Wetterprognose im Blick haben, denn davon hängt ab, wie lange gezeltet werden kann. Für Montag sind Schauer und Gewitter angesagt, danach wird es kälter. Es wird über viele Unterbringungsideen beraten. So gilt ein noch verbliebenes Oktoberfest-Zelt als ungeeignet, dies könne man den Flüchtlingen nach 16 Tagen Wiesn nicht zumuten. Dafür sind Asylbewerber am Wochenende ins Olympiastadion eingezogen. 200 haben ihr Quartier im früheren Vip-Bereich unterhalb der Tribüne.

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