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Frankreichs Präsident Nicolas Sarklozy und der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi.

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Update

Flüchtlinge: Italien und Frankreich wollen Schengen-Vertrag reformieren

Wochenlang haben Frankreich und Italien wegen der Flüchtlinge aus Tunesien gestritten. Jetzt haben sie sich verständigt.

Es war ein Gipfel der verkniffenen Gesichter, aber auch einer des Friedensschlusses. Nach Wochen der Spannungen, geschürt bis in die letzten Stunden vor Ostern, haben Italien und Frankreich am Dienstag ihren Streit um die tunesischen Einwanderer beendet. In einem gemeinsamen Brief an die EU-Kommission verlangen Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Regierungschef Silvio Berlusconi zum Umgang mit möglichen weiteren Flüchtlingswellen eine Reform des Schengen-Vertrags, der bisher die Reisefreiheit innerhalb der EU garantiert, dazu eine Stärkung der europäischen Grenzüberwachungsbehörde Frontex sowie eine „starke, wenn nötig außerordentliche“ finanzielle Aufbauhilfe für die Staaten am südlichen Ufer des Mittelmeers.

Ein Vorstoß, dem auch die Bundesregierung etwas abgewinnen kann. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist dafür, in Extremfällen die Grenzen wieder zu kontrollieren. Als letzte Möglichkeit müssten die Staaten anlass- und lagebezogene Kontrollen einführen dürfen, sagte ein Sprecher am Dienstag in Berlin. Die Ausnahmeregelungen müssten vereinfacht werden. Die Reisefreiheit dürfe aber nicht gefährdet werden. Die EU-Kommission ging auf Konfrontationskurs zu Frankreich und Italien. Ein vorübergehendes Ruhenlassen der Schengener Vorschriften sei vollkommen ausgeschlossen. „Das ist keine Option“, sagte ein Sprecher der EU-Behörde in Brüssel.

Der Streit zwischen den beiden Ländern hatte sich an einer verärgerten Entscheidung Italiens entzündet. Weil sich Rom von der europäischen Gemeinschaft mit der Flüchtlingswelle aus Nordafrika alleingelassen fühlte, hatte die Regierung beschlossen, zumindest allen eingereisten Tunesiern – dieses Jahr schon 24 000 – eine befristete Aufenthaltsgenehmigung auszustellen. Damit können – und sollen, nach Absicht Roms – die Tunesier gemäß dem Schengen-Vertrag frei in andere Staaten Europas weiterreisen. Frankreich als erklärtes Zielland der meisten Tunesier hatte dies als eine regelwidrige Unterwanderung des Schengen-Abkommens bezeichnet, die meisten Flüchtlinge zurückgewiesen und für einen halben Tag die Grenze in Ventimiglia an der Riviera sogar vollständig geschlossen.

Der Schengen-Vertrag sei in die Jahre gekommen; für die neuen Herausforderungen müsse er „zum TÜV“, sagte Italiens Außenminister Franco Frattini bereits vor dem italienisch-französischen Gipfel am Dienstag in Rom. Berlusconi und Sarkozy fordern jetzt, „damit der Vertrag weiterlebt“, eine stärkere Überwachung vonseiten einer Expertengruppe sowie eine flexiblere Möglichkeit für Einzelstaaten, die Grenzen „bei herausragenden Ereignissen“ schließen zu können.

Der „massive Zustrom“ von Migranten, so Sarkozy und Berlusconi in ihrem Brief an EU-Kommissionspräsident Barroso, erfordere „maximale Solidarität für die am meisten betroffenen EU-Mitgliedsländer“. Berlusconi sagte nach dem Gipfel, er setze auf eine „psychologische Abschreckung“ möglicher weiterer Einwanderer. Es solle „auch übers Fernsehen“ die Nachricht verbreitet werden, dass sich die teure und riskante Fahrt übers Mittelmeer nicht lohne, sondern dass jeder Gefahr laufe, sich als Abgeschobener rasch wieder zu Hause vorzufinden.

Den Friedensschluss ermöglicht hatten zwei Entscheidungen Roms: Zum einen musste Berlusconi bei Sarkozy formell Abbitte leisten für die Beschuldigungen, Frankreich tue im Gegensatz zum viel geplagten Italien nichts für die Tunesier. Zum anderen hatte Rom am Vorabend des Treffens beschlossen, die italienische Luftwaffe nunmehr voll an den Einsätzen in Libyen zu beteiligen, also auch an gezielten Militärschlägen gegen Gaddafi (siehe Artikel rechts). Bisher fliegen italienische Flugzeuge nur Aufklärungs- und Begleitmissionen.

Ungeachtet dessen tragen die nordafrikanischen Länder nach Angaben von Hilfsorganisationen die Hauptlast der Krise. 24 000 Migranten aus Tunesien, die seit Jahresbeginn in Süditalien angelandet seien, stünden 650 000 Menschen gegenüber, die vor allem auf dem Maghreb Zuflucht gefunden hätten.

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