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Nato-Schiffe mit dem Einsatzgruppenversorger «Bonn» (Foto) als Führungsschiff sind zum Anti-Schleuser-Einsatz im Seegebiet zwischen Griechenland und der Türkei eingetroffen.

© dpa

Flüchtlingskrise: Gerettet, und dann?

Nach der Ansicht von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen soll die Nato die Möglichkeit haben, aus Seenot gerettete Migranten wieder zurück in die Türkei zu bringen. Doch die EU-Grenzschutzagentur Frontex sieht die Türkei keineswegs als sicheres Herkunftsland.

Vor wenigen Tagen hat die Nato ihren Einsatz gegen Schlepper im Mittelmeer gestartet. Gerettete Flüchtlinge sollen nun auch in die Türkei zurückgeschickt werden können. Menschenrechtler kritisieren das als Aushebelung des europäischen Asylrechts – und auch die Grenzschutzagentur Frontex folgt anderen Prinzipien.

Die Zahl von Migranten, die ihre Flucht nach Europa per Boot über das Meer antreten, bleibt besorgniserregend hoch. Bereits mehr als 100.000 Flüchtlinge sind seit Jahresbeginn über das Mittelmeer nach Europa gelangt, berichtet die Internationale Organisation für Migration (IOM) – weit mehr als in der ersten Jahreshälfte 2015.

Auch der Exekutivdirektor der EU-Grenzschutzbehörde Frontex, Fabrice Leggeri, hatte am Dienstag in Berlin bestätigt, dass die Zahl der im Januar in Griechenland angekommenen Flüchtlinge um 600 Prozent höher liege als vor einem Jahr. Traurige Folge: Allein dieses Jahr ertranken der IOM zufolge bereits 413 Flüchtlinge im Mittelmeer.

Damit künftig weniger Migranten unkontrolliert über die Türkei nach Europa geschleust werden, beschlossen die 28 EU-Mitgliedstaaten, neben der EU-Grenzschutzagentur Frontex noch in diesem Monat Boote der Nato in der Ägäis einzusetzen. Der Vorschlag zum Anti-Schlepper-Einsatz war von Deutschland und der Türkei initiiert worden.

Nato-Einsatz ruft Menschenrechtler auf den Plan

Dies aber ruft zahlreiche Menschenrechtler auf den Plan. Denn die Frage, wohin die auf hoher See Geretteten geschickt werden dürfen und wohin nicht, wird inzwischen innerhalb der EU unterschiedlich beantwortet.

Werden die Menschen von Frontex-Booten gerettet, dürfen die Schiffe sie nach Artikel 10 der EU-Verordnung 656/2014 zu den EU-Seeaußengrenzen, die im Juli 2014 erlassen wurde, nicht in die Türkei zurückbringen. Die Migranten sollen demnach in europäische Länder gebracht werden, die als als eindeutig „sicher“ gelten.

Verteidungsministerin Leyen betrachtet Türkei als sicher

Doch sowohl die deutsche Verteidigungsministerin als auch andere Unionspolitiker betrachten die Türkei als sicher genug. Den Nato-Schiffen in der Ägäis soll laut Ursula von der Leyen darum erlaubt sein, aus Seenot gerettete Migranten wieder zurück in die Türkei zu bringen. Nicht vorgesehen ist es laut Bundesverteidigungsministerium nur, Schiffbrüchige oder Flüchtlinge gegen deren Willen an Bord zu nehmen.

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Hans-Peter Friedrich, forderte daraufhin, auch Frontex solle künftig illegale Migranten nicht mehr nach Europa bringen. Das internationale Seerecht schreibe nur vor, dass diese Menschen an einen sicheren Ort gebracht werden müssten, sagte Friedrich. Zu einem solchen ‚sicheren Ort‘ gehört nach der Auffassung von Friedrich auch die Türkei. Die EU-Seeaußengrenzen-Verordnung, die Frontex derzeit zwinge, illegale Migranten nach Europa zu bringen, müsse deswegen dringend geändert werden, so Friedrich.

Widerspruch von Frontex

Die EU-Grenzschutzbehörde sieht das allerdings anders. „Wir haben noch nie im Mittelmeer gerettete Migranten in die Türkei ausgeschifft", sagte Frontex-Sprecherin Ewa Moncure gegenüber EurActiv.de. Entgegen kürzlich verbreiteten Behauptungen habe Frontex die Türkei noch nie als einen „sicheren Ort“ klassifiziert, und dies zu ändern stehe auch nicht zur Diskussion.

Karl Kopp, Europareferent der Hilfsorganisation Pro Asyl, formuliert es drastischer: „Die Entscheidung, in der Ägäis gerettete Flüchtlinge in die Türkei zu schicken, kommt der Beerdigung des Asylrechts gleich“, sagt er im Gespräch mit EurActiv.de. Der Plan der Bundesverteidigungsministerin wäre ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht – „ein illegaler Push-Back“. Die geretteten Flüchtlinge hätten das formale Recht darauf, dass ihr Schutzbedürfnis in der EU mit einem fairen Verfahren geprüft wird.

Pro Asyl nennt Plan der Nato illegal

Recht gibt Pro Asyl der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte in einer im Jahr 2012 veröffentlichten Entscheidung festgestellt, dass die Zurückweisung von Flüchtlingen auf hoher See mehrere der in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Rechte verletzt.

Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte sich vor dem Beschluss kritisch geäußert: „Die Nato kann keine Rolle bei der Steuerung der Flüchtlingsmigration spielen“, sagte Steinmeier.

Pro Asyl warnt nun, am Anrecht für Flüchtlinge auf Asylberechtigung dürfe keinesfalls gerüttelt werden. „Frontex ist nur ein Werkzeug der EU und damit immer nur so menschenfreundlich, wie das EU-Recht selbst“, sagt Kopp.

Erschienen bei EurActiv.
Der Tagesspiegel und das europapolitische Onlinemagazin EurActiv kooperieren miteinander.

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