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Affe

© dpa

Forschung: Tierversuche - die finale Entscheidung

Folter, sagen die einen, eine Schande. Völlig unerlässlich, sagen die anderen. Es sind unversöhnliche Positionen, wenn es um Tierversuche geht. Jetzt soll eine Entscheidung fallen.

Im Flur riecht es nach Melonen, Bananen, Ananas, Weintrauben. Futter für die Tiere. In großen Käfigen turnen ein paar Affen herum. Manche haben etwas auf dem Kopf, das aussieht wie eine Pudelmütze. Es sind Zementaufbauten. Darin sind kleine Löcher. Durch die kommt man direkt in ihr Gehirn. Die Affen sind Versuchstiere. Lebend werden sie das Laborgebäude nicht mehr verlassen.

Wann leidet ein Tier? Der Streit ist wieder losgegangen, das hatte sich abgezeichnet, und diesmal, scheint es, muss er final entschieden werden.

An der Universität Bremen forscht seit elf Jahren ein Neurologe an Makaken, Rhesusaffen, er will herausfinden, wie Wahrnehmung funktioniert. Die Politik, die das bisher duldete, entschied nun: Schluss damit. Der turnusmäßig zu stellende Antrag auf Fortsetzung des Versuchsvorhabens "Raumzeitliche Dynamik kognitiver Prozesse des Säugetiergehirns" wurde, nachdem 2007 bereits die Bremer Bürgerschaft den Ausstieg aus den Versuchen beschlossen hatte, am 15. Oktober 2008 durch die zuständige Gesundheitssenatorin abgelehnt. Man habe "erhebliche Zweifel" an der "ethischen Vertretbarkeit", heißt es zur Begründung.

Als der hochgewachsene Rektor der Universität das las, stand ihm sofort seine weißgraue Mähne zu Berge. Angriff auf die Forschungsfreiheit!, dröhnte er, die man bis vors Bundesverfassungsgericht verteidigen werde.

"Die Freiheit der Forschung hört auf, wenn andere leiden müssen"

Forschungsfreiheit gegen Tierschutz. Grundrecht gegen Staatsziel - denn zu dem wurde der Tierschutz 2002 erklärt. Die ersten Gutachten wurden bereits geschrieben. Es verspricht eine juristische Schlacht zu werden.

Im Bremer Alltag findet die längst statt, ausgetragen wird sie mit Aufrufen und Unterstellungen. Die Kombattanten sind Andreas Kreiter, der Forscher, und Wolfgang Apel, der Tierschützer. Über der Hansestadt nieselt es kalt vom grauen Himmel. Um das Gelände kurz hinter der Autobahn ist ein hoher Zaun gespannt, Hunde, die man nicht sieht, kläffen heiser. Im spartanischen Bürogebäude ein langer enger Flur, gerahmte Bilder an der Wand, Tiere im Elend. Ein Telefon klingelt, eine Sekretärin geht ran, gibt Tipps für ein krankes Haustier.

Wolfgang Apel, 57, gebürtiger Bremer, gelernter Speditionskaufmann, seit 30 Jahren Chef des Bremer Tierschutzvereins und seit 15 Jahren auch Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, hat am Ende des Flurs ein großes Büro mit Fenstern auf beiden Längsseiten, große Tische, viele Stühle, Schrankwände voller Aktenordner. Er trägt einen roten Pullover und eine Brille, die seine Augen größer wirken lässt. Wenn er spricht, lässt er sich nicht gern unterbrechen, weil er dann den Faden verliert.

Die Frage nach der Notwendigkeit der Versuche bleibt bestehen

Für Apel fängt der Skandal 1994 an, als die Universität die Professur für Neurobiologie schuf und 1997 plötzlich Kreiter da war und mit ihm die Affenversuche. Der Tierschutzverein startete umgehend eine Unterschriftensammelaktion, 40.000 Bremer gaben ihren Namen für den Protest, das Landesparlament befasste sich, Bedingungen für das Forschungsvorhaben wurden formuliert. Ein Kernspintomograf wurde in der Folge angeschafft, in der Annahme, man könne die invasiven Untersuchungen am Gehirn dadurch ersetzen.

Auch zur Haltung der Affen wurden Vorgaben gemacht, nur das Beste sollte es geben, und so geschah es. Den Forschern, die Apel eine Zeit lang als "Folterer" bezeichnete, wurde kommunales Geld gestrichen, sie finanzieren sich aus Drittmitteln, die vom Bundesministerium für Forschung und Technologie, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der EU und diversen Stiftungen kommen. Die Universität ernannte einen Makakenbeauftragten, Expertenkommissionen tagten. Doch geblieben sind: Argwohn und die Frage nach der Notwendigkeit der Versuche überhaupt.

"Das ist so was von unmöglich, was wir mit den Tieren machen", sagt Apel.

Auf dem Tisch hat er zwei Aktenordner aufgeschlagen, voll sind beide bis zum Rand mit Papieren, Briefen, Artikeln, "und das ist nur 2008". Seit August läuft wieder eine Unterschriftenaktion, wieder sehr erfolgreich. Dass seine Gegner ihm nachsagen, er habe sich mit der hochemotionalen Kampagne nur für seine Wiederwahl zum Tierschutzchef empfehlen wollen, juckt Apel nicht. "Ich bin für die Freiheit der Forschung", sagt er, "aber die hört auf, wenn andere leiden müssen."

Die Affen bleiben so lange, wie sie mitmachen

Was also machen die Forscher mit den Tieren? Die Affen - 24 sind es - werden darauf dressiert, in einen sogenannten Primatenstuhl zu klettern und dort sitzen zu bleiben. Der Primatenstuhl ist ein Käfig aus Plexiglas. Oben ragt der Kopf heraus. In diesem Stuhl sitzend werden die Affen in die Versuchsräume geschoben und an die Arbeit gewöhnt. Auf einem Bildschirm ist ein Punkt, den das Tier anschauen soll. Rund um den Punkt werden nacheinander verschiedene Formen und Figuren gezeigt. Wenn sich die erste wiederholt, soll der Affe einen Hebel drücken. Macht er das richtig, spritzt aus einem Röhrchen ein Schluck Fruchtsaft in den Mund. Eine Belohnung. Bestraft wird nicht.

Wenn die Tiere begriffen haben, was man von ihnen will - und bis dahin vergeht ungefähr ein Jahr -, kommt die Operation. Es wird ihnen ein Aufbau aus medizinischem Zement auf den Schädel montiert, mit einer Öffnung zum Gehirn. Sind die Wunden geheilt und die Affen wieder wohlauf, werden sie zum Arbeiten geschickt. Diesmal wird an dem Aufbau auf ihrem Kopf eine Halterung angebracht, die an einem Gestänge befestigt wird, so dass der Affe den Kopf nicht mehr bewegen kann. Während der Übungen stecken nun Elektrodendrähte in seinem Gehirn, die Aktivitäten messen. Wie lange die Affen im Versuchsraum bleiben, hängt dann davon ab, wie lange sie mitmachen.

Wurden die Affen einige Jahre untersucht, werden sie getötet, dann wird ihr Gehirn begutachtet.

Wann leidet ein Tier?

Für Apel ist ausgemacht, dass die Tiere bis dahin permanent Durst haben und auch unter der Fixierung im Primatenstuhl leiden. Da diese Versuche mehrmals pro Woche und über Jahre durchgeführt werden, wären sie somit unethisch im Sinne des Tierschutzgesetzes. Dort heißt es: "Versuche an Wirbeltieren, die zu länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen oder Leiden führen, dürfen nur durchgeführt werden, wenn die angestrebten Ergebnisse vermuten lassen, dass sie für wesentliche Bedürfnisse von Mensch oder Tier einschließlich der Lösung wissenschaftlicher Probleme von hervorragender Bedeutung sein werden."

Aber was Kreiter mache, sei bloße Grundlagenforschung. Apel spuckt das Wort förmlich aus. Grundlagenforschung, das ist ungefähres Suchen. Stochern im Nebel. Das sei nichts, was ein Tierleben fordern dürfe, findet Apel.

Wann leidet ein Tier?

Während des langen Streits um die Affenversuche gab es eine Radiosendung zum Thema. Da sprach eine Abgeordnete der Grünen, ihre Empörung zerriss sie förmlich. "Die Affen werden fünf Stunden fixiert", sagte sie. Und mit jedem Wort wurde sie lauter: "Das würde kein Mensch aushalten."

Man findet keine Antwort - die Affen äußern sich nicht

Aber es ist nicht ausgemacht, dass Menschen richtig liegen, wenn sie ihre individuellen Leidensvorstellungen auf Tiere übertragen. "Über subjektive Empfindungen von Schmerz, Leiden oder Angst bei Säugetieren lassen sich bis heute weitgehend nur Vermutungen anstellen", steht in der "Schriftenreihe Versuchstierkunde". Man hält dort aber fest, dass das Leben in der Natur, das artgerechte, ein grausames ist, gekennzeichnet von hohen Verlustraten unter Jungtieren, von Hunger, Durst, Krankheiten, Parasiten, Verletzungen, sprich: von Schmerzen und Leid. Lebt ein Makake am Ende gar besser in einem Labor, in dem er medizinisch betreut und sorgsam gepflegt wird?

Das Problem mit solchen Fragen ist: Es kann sie keiner beantworten. Die Affen äußern sich nicht. Und alle anderen mutmaßen eben nur.

Natürlich leide der Affe im Labor, sagt Apel, der Tierschützer. Das zu sagen, gehört zu seinen Aufgaben, Tierschützer sind gegen Tierversuche, und sie haben viel zu tun: 2,2 Millionen Versuchstiere sind pro Jahr in Deutschland im Einsatz, die Anti-Affenversuchs-Kampagne ist die längste seines Vereins. Und vielleicht sei das Leben in der Natur auch hart, sagt Apel, härter sogar, aber dafür seien die Tiere frei.

"Tiere wollen sicher sein"

Was bedeutet einem Tier schon Freiheit?, sagt dagegen Kreiter. Er sagt, die Tiere wollen nicht frei, sie wollen sicher sein. Es sei für seine Untersuchungen essenziell wichtig, dass es den Affen gut gehe. Er würde doch mit Messungen im Hirn eines gestressten oder leidenden Tieres gar nichts anfangen können.

Es zeigt sich auch am unterschiedlichen Wesen der beiden Kombattanten, wie wackelig man steht, wenn man von eigenen Bedürfnissen auf die der anderen schließt.

Während Apel in seinem großen Büro über das Leid der Affen sprach, trank er eine Tasse Kaffee mit Milch, er aß ein paar der auf dem Besuchertisch drapierten Kekse, und irgendwann fing er auch an zu rauchen. Für Apel würde Leid vielleicht schon anfangen, wenn Zigaretten fehlen.

Der Mann am anderen Ende des Streits dagegen, Andreas Kreiter, spricht von 10 bis 17 Uhr in langen Sätzen über seine Versuche, über Hirnforschung, über Bremen, ohne etwas zu trinken oder zu essen, ohne kurz verschwinden zu müssen. Kreiter trinkt morgens eine Tasse Tee. Es ist vollkommen witzlos, sich mit ihm über Durst zu unterhalten.

Kreiter kennt die Versuchsaffen beim Namen, weiß wer frech ist und wer schüchtern

Aber er sagt: Kein Affe verlässt den Versuchsraum durstig. Und: An den Wochenenden bekommen die Affen zu trinken und saftiges Obst und Gemüse.

Kreiter, 45, aufgewachsen in Hessen, ist ein großer Mann, in Schwarz gekleidet, hat schräg stehende Augen in einem kleinen Gesicht. Er arbeitet in einem niedrigen Flachbau auf dem Campus der Universität, es ist das Zentrum für Kognitionswissenschaften am Institut für Hirnforschung. Auch sein Gelände ist umzäunt. Sein Büro liegt in der Mitte zwischen den Affenkäfigen und den Versuchslaboratorien.

Was Kreiter herausfinden will, ist, wie aus Sinneseindrücken, also biologisch- physikalischen Vorgängen, Wahrnehmen wird, Denken, Erinnern, geistige Prozesse. Wieso erkennen wir in den voll besetzten Rängen eines Fußballstadions ein bekanntes Gesicht? Er sagt: "Wir wissen, wie eine Nervenzelle funktioniert, aber wir wissen nicht, wie zehn Milliarden Nervenzellen funktionieren." Das sind grundlegende Fragen. Und Kreiter hält Grundlagenforschung auch für die ehrenwertere, da sie Ausgangsgewissheiten schafft, Erkenntnisse, Menschheitswissen. Ob es nicht verwerflicher sei, ein Tier zu Versuchen zu gebrauchen, die der Herstellung eines einzelnen Medikaments dienen, und damit auch: dem Profit von Unternehmen?

Noch sei das Ausmaß an Nichtwissen in der Hirnforschung gigantisch, sagt Kreiter. Und erst, wenn diese Lücken geschlossen seien, könnte gegen Schäden am Organ, gegen Alzheimer oder Epilepsie vorgegangen werden. Schon jetzt aber, wirbt die Universität für Kreiter, ließen sich aus dessen Erkenntnissen konkrete Ansätze zur Diagnostik und Therapie der Epilepsie ableiten. Das zweifelt - neben Apel - auch die Vereinigung der "Ärzte gegen Tierversuche" an. "Eine mögliche Behandlung von Alzheimer oder Epilepsie ist nur vorgeschoben", behaupten die, tatsächlich sei "der Nutzen für kranke Menschen gleich null."

Kreiter ist Forscher, er interessiert sich für Fragen mehr als für Antworten. Er hat als Teenager Wüstenleguane in seinem Kinderzimmerterrarium unter wissenschaftlichen Fragestellungen beobachtet, er hat während des Biologiestudiums Katzen getötet. Er kennt viele der Versuchsaffen mit Namen, er weiß, wer frech ist und wer schüchtern.

Auf dem Land habe man eine andere Beziehung zum Tier als in der Stadt

Ob ihm die Affen denn mal leidtun? Kreiter weicht aus. Er lebe auf dem Land, sagt er, umgeben von Bauernhöfen. Da habe man eine andere Beziehung zum Tier als in der Stadt. Da ist das Tier Faktor einer betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung. Da werden niedliche Kälber zu Schnitzel, und zwar ohne irgendeinen Erkenntnisgewinn für die Schlächter. Die Bauern sagen: So ein Theater um die paar Affen.

Und so geht es bei dem Bremer Streit letztlich auch um das grundsätzliche Verhältnis von Mensch und Kreatur - auch um Tierhaltung, um Schweinemast, Legehennen, um Zoo und Zirkus. Was tut der Mensch dem Tier an, und woher nimmt er das Recht dazu? Dazu gibt viel Widersprüchliches.

Auf der einen Seite werden Versuche an Tieren, die deren mögliches Leid zumindest billigend in Kauf nehmen, damit gerechtfertigt, dass die Ergebnisse die Gesundheit der Menschen fördern sollen. Andererseits, so stellte es der Philosoph Andreas Flury bei der Ringvorlesung "Moral und Recht in der Wissenschaft" an der Universität Bremen dar, gebe es nicht einmal ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, obwohl damit auch viel menschliches Leid verhindert werden könnte.

Damit, findet Flury, hätten die Menschen den "Ernsthaftigkeitstest" nicht bestanden, und deshalb sollten sie auch nicht den "vagen Nutzen an geretteten Menschenleben" als Begründung anführen dürfen, um in das Leben anderer Wesen einzugreifen.

In Indien sind die Makaken heilig

Im vollendeten Kontrast zu den aufregend-elementaren Diskussionen außerhalb der Bremer Laborwelt geht es darin überaus beschaulich zu. Dass immer wieder Affen in quietschenden Kisten durch die Gänge gerollt werden, wirkt schnell normal, so wenig reagieren die freundlichen Beschäftigten darauf. Es sind viele junge Leute, wissenschaftlicher Nachwuchs, viele Frauen auch. Mit blonden Zöpfen oder indischen Wurzeln.

Am hinteren Ende des Flachbaus sitzt Sunita Mandon, Post-Doktorandin und eine von Kreiters neun Mitarbeitern, in einem hellen kleinen Raum mit Blick nach draußen. Der Raum ist erfüllt von einem monotonen Knattergeräusch. Es kommt von der Pumpe, die den Saft in den Versuchsraum pumpt. Es ist ein roter Saft. Botox arbeite heute gut, sagt Mandon. Sie sieht ihn auf einem der vor ihr stehenden Monitore. Ein heller Affenkopf, darin dunkle Augen, der Körper schemenhaft.

Sie habe ihre Vorbehalte gegen Kreiters Arbeit aufgegeben, nachdem sie die Affen, die Käfige und die Versuche gesehen habe, sagt die Post-Doktorandin. Auch unter ihren Verwandten und Bekannten gebe es kaum noch jemanden, der grundsätzlich an der Vertretbarkeit dieser Versuche zweifele, sagt sie. Und sie hofft, dass es gelingt, das nun verfügte Ende des Forschungsvorhabens zum 30. November durch einstweilige Verfügungen lange hinauszuzögern. Damit sie ihre Arbeit zu Ende zu bringen kann.

Sunita Mandon sagt, dass die Affen im Versuchsraum ihre Köpfe dahin halten, wo sie fixiert werden. "Die machen richtig mit", sagt sie. "Ganz süß."

Makaken sind beliebte Versuchstiere, weil sie einfach zu halten sind. Man hat an ihnen den Rhesusfaktor entdeckt, sie 1959 und 1960 ins All geflogen und im Jahr 2000 geklont. Sie werden für Versuchszwecke in Primatenzentrum Göttingen gezüchtet und kosten etwa 6000 Euro. In Indien sind sie heilig.

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