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© dpa

Friedensmission: Papst in Nahost: Operation weißer Umhang beginnt

Es ist seine bislang heikelste Mission: Papst Benedikt XVI. reist in den Nahen Osten. Bei vielen im Orient ist er nicht willkommen: Rechtsradikale Israelis haben Störaktionen gegen den Papst angekündigt. Auch viele Palästinenser, selbst aus der christlichen Minderheit, sind über den Besuch nicht glücklich. Kann er das zerrüttete Verhältnis zwischen Vatikan und Judentum wieder ins Lot bringen?

Die Tür der Al-Italia-Maschine schließt, Kurienkardinäle bleiben am Rande des Rollfelds zurück, der Airbus 320 hebt ab vom Rom-Fiumicino. Er steigt über die Albaner Berge, Castelgandolfo, die Sommerresidenz der Päpste, ist zu sehen - für Benedikt XVI. inzwischen ein vertrauter Anblick, es ist seine zwölfte Auslandsreise - und seine schwierigste. Was erwartet ihn die kommenden acht Tage im "Heiligen Land", dessen Politik meist so unheilig ist?

Es ist ein Land, um das seit mindestens 4000 Jahren Krieg geführt wird. Die Ägypter knebelten seine Bewohner, die Babylonier zerstörten, die Römer unterjochten es, die Kreuzfahrer fielen darüber her, die Osmanen und die europäischen Kolonialmächte verleibten es sich ein. Der jüngste Krieg ist grade mal fünf Monate her: Beim Gaza-Feldzug der israelischen Armee starben mehr als 1300 Menschen, überwiegend Palästinenser.

Spirituelle Kraft für den Frieden

Und nun kommt der Papst. Auf einer Pressekonferenz während des Fluges sagte er über den Zweck seiner Reise, er wolle sich an den Friedensbemühungen im Nahen Osten beteiligen - nicht als politische Macht, sondern mittels seiner spirituellen Kraft. Geradezu bescheiden sagte er beim Besuch des "Regina Pacis"-Zentrums kurz nach seiner Ankunft in der jordanischen Hauptstadt Amman: "Ich komme schlicht mit einem Ziel, einer Hoffnung: Um für die wertvolle Gabe der Einheit und des Friedens ganz besonders für den Nahen Osten zu beten."

Zweifellos ein frommer Wunsch - denn nicht einmal der "Sohn Gottes", als dessen Stellvertreter auf Erden er sich versteht, hat dies just an diesem Ort vor 2000 Jahren geschafft, als er leibhaftig hier wandelte. Und zugleich: Was für eine Utopie!

Ein Utopist ist weder Illusionär, noch Visionär. Illusionisten sind von der Wirklichkeit entkoppelte Träumer, und Visionäre gehören frei nach Helmut Schmidt in die Psychiatrie. Utopisten hingegen sprechen zwar auch die Gefühls- und Phantasiewelt des Menschen an, doch bieten sie dabei "Grundrisse einer besseren Welt" - so hat es Ernst Bloch gesehen, in dessen Dunstkreis Benedikt als Joseph Ratzinger lehrte, als er noch Professor der Theologie in Tübingen war.

"Man braucht das stärkste Fernrohr, das des geschliffenen utopischen Bewusstseins, um gerade die nächste Nähe zu durchdringen", hatte der jüdisch-atheistische Philosoph gesagt. Und so könnte Benedikts Satz vom "Frieden für Nahost" verstanden werden: Inmitten "nächster Nähe", von Feindschaft und Hass, im Brennpunkt religiös, kulturell, wirtschaftlich und politisch motivierter Gewalt, versucht er, den "Grundriss einer besseren Welt" vor Augen zu führen: Nur wer die Möglichkeit der Veränderung im Blick hat, kann die widrige "nächste Nähe" transformieren.

Klagemauer, Felsendom, Geburtskirche

Das Programm des Papstes spiegelt sein Ziel wider. Er besucht "heilige Stätte" aller drei Religionen, die in Palästina aufeinanderprallen: Judentum, Christentum und Islam. Den Berg Nebo, wo Mose, auf den sich alle drei beziehen, kurz vor seinem Tod das "gelobte Land" gesehen haben soll; die Hussein Bin Talal Moschee in der jordanischen Hauptstadt Amman; den Felsendom in Jerusalem, drittheiligster Ort für Muslime; die Klagemauer, heiligster Ort für Juden; und wichtige Orte der Biografie Jesu: die Geburtskirche in Bethlehem, Nazareth, wo Jesus aufgewachsen ist, Bethanien am Jordan, wo er getauft worden sein soll, und die Grabeskirche in Jerusalem.

Die Planer im Vatikan haben streng darauf geachtet, dass Benedikts Mission auch politisch ausgewogen ist: Er spricht mit den höchsten politischen Repräsentanten aller Länder und Gebiete, die er besucht: mit Jordaniens König Abdullah II., mit Palästinenserpräsident Machmud Abbas, mit Israels Präsident Schimon Peres und mit dem neuen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Von besonderer politischer Brisanz ist der Besuch des palästinensischen Flüchtlingslagers Aida am Mittwoch, einen Tag vor dem 14. Mai, an dem die Palästinenser der Nakba, ihrer Vertreibung 1948, gedenken.

Heikeler Besuch der Holocaust-Gedenkstätte

Besonders heikel ist der Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem am Montag. Hier wird sich entscheiden, ob es dem Papst gelingt, das zuletzt zerrüttete Verhältnis zum Judentum wieder ins Lot zu bringen. Die Wiedereinführung einer alten Karfreitagsliturgie ("Lasset uns beten für die Juden, dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus den Heiland aller Menschen erkennen") wurde von vielen Juden als Affront empfunden. Auch der Versuch, Bischof Richard Williamson zu rehabilitieren, hat dem jüdisch-christlichen Dialog schwer geschadet. Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, erwartet eine klare Aussage des Papstes zu Williamson. Dieser habe eine Frist von 21 Tagen erhalten, um seine Leugnung des Holocausts zu widerrufen, die sei längst verstrichen, gehört habe man seither nichts.

So belastet das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum, so gespannt ist das des Vatikans zum Staat Israel. Als Papst Paul VI. 1964 das "Heilige Land" als erster Papst in der Neuzeit bereist, nennt er den gerade 16 Jahre alten Staat noch nicht einmal beim Namen. Volle diplomatische Beziehungen gibt es erst seit 1994. Doch immer wieder kommt es zu schweren Verwerfungen. Benedikt war erst wenige Monate im Amt, als er beim Angelusgebet in seinem Ferienort im norditalienischen Aostatal 2005 der Terroropfer von Scharm al-Scheich (Ägypten), in der Türkei, im Irak und in London gedachte, nicht jedoch jener fünf Toten und etwa 40 Verletzten, die fünf Tage nach London einem Selbstmordanschlag in der israelischen Küstenstadt Netanja zum Opfer fielen. Das israelische Außenministerium bestellte den päpstlichen Nuntius in Israel ein und warf dem Vertreter Roms vor, Benedikt habe "vorsätzlich" palästinensische Terroranschläge unerwähnt gelassen - dies könne "möglicherweise als Billigung terroristischer Akte gegen Juden" verstanden werden.

Wie empfindlich die Beziehungen sind, zeigt auch der Streit um die Bewertung von Pius XII. Darüber wäre die jetzige Reise beinahe geplatzt. Im Museum von Yad Vashem hängt eine Tafel, auf der der Papst der Kriegsjahre (1939-1958) dargestellt wird als einer, der die Schoah schweigend mitansah. Für Benedikt dagegen hat Pius XII. so vorbildlich gewirkt, dass er dessen Seligsprechung erwägt. Der Vatikan verlangte, die Tafel abzuhängen, Israel weigerte sich. Nun lässt Benedikt das Museum der Gedenkstätte aus.

Jeder Satz, jedes Wort, jede Geste kann für Gewaltausbrüche sorgen

In den nächsten acht Tagen wird der Papst 23 Ansprachen und vier Predigten halten - mehr als auf jeder anderen Reise. Und wohl noch nie wird so genau hingehört werden, wie auf diesem Trip durch eine der gefährdetsten und gefährlichsten Regionen der Welt. Jede Passage, jeder Satz, jedes Wort und jede Geste kann für Empörung, ja für Gewaltausbrüche sorgen. Zu gegensätzlich sind die Positionen der zerstrittenen und verfeindeten Parteien in dieser von Hass getränkten Gegend. Viele im Vatikan rieten dem Pontifex von der Reise ab. Und bei vielen hier im Orient ist er nicht willkommen: Rechtsradikale Israelis haben Störaktionen gegen den Papst angekündigt. Auch viele Palästinenser, selbst aus der christlichen Minderheit, sind über den Besuch nicht glücklich. Er diene dazu, das Ansehen Israels nach dem Gaza-Krieg wieder zu erhöhen. Am Tag der Nakba könnte es in den Palästinensergebieten zu Ausschreitungen kommen, mit Terroranschlägen islamistischer Fundamentalisten ist sowieso immer zu rechnen.

Der Papst mag in den nächsten Tagen seine Utopie von "Einheit und Frieden" für Nahost entwerfen, die Gastgeber müssen sich vor allem um Benedikts Sicherheit kümmern. Im jordanischen Luftraum wurde das Flugzeug des Friedensstifters von zwei Mirage-Kampfbombern der jordanischen Luftwaffe eskortiert - bestückt mit Exocet-Raketen. Zu Boden soll ein Heer von angeblich 80.000 Sicherheitsleuten seine und der Gläubigen Unversehrtheit garantieren - acht Mal mehr als beim Besuch von George W. Bush. Die "Operation weißer Umhang", so der Codename in Israel, hat gerade erst begonnen.

Mit freundlicher Unterstützung von Zeit-Online

Alexander Schwabe[Amman]

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