
© REUTERS/CHRISTIAN HARTMANN
Friedrich Merz, der Europäer: Kann der Kanzler seinen Anspruch an die eigene EU-Politik einlösen?
An der Europapolitik von Vorgänger Olaf Scholz ließ er kaum ein gutes Haar. Nicht erst bei seinem ersten EU-Gipfel versucht Merz, es besser zu machen – und trifft auf eine komplexe Realität.
Stand:
Für Friedrich Merz schließt sich an diesem Donnerstag ein Kreis. Der zehnte deutsche Bundeskanzler hat seine politische Karriere als Europaabgeordneter in Brüssel begonnen. Mehr als drei Jahrzehnte später repräsentiert er in der europäischen Hauptstadt wieder die Bundesrepublik und schreitet den roten Teppich entlang zu seinem ersten EU-Gipfel.
Das Gebäude, in dem er auf die anderen Staats- und Regierungschef trifft, stand damals noch gar nicht, als Merz mit dem Plakatslogan „Für deutsche Interessen in Europa“ 1989 Abgeordneter wurde. Erst später im selben Jahr fiel die Mauer, es gab noch keinen Binnenmarkt, keinen Euro, keine Osterweiterung, nicht einmal die EU selbst, die noch Europäische Gemeinschaft hieß.
Geblieben ist aus der Zeit von damals, dass er neben seinem guten Englisch noch ganz passabel Französisch versteht, wenn auch die gesprochene Form ziemlich eingerostet ist. Er weiß um die europäischen Abläufe, kennt die Institutionen, mag die Stadt mit ihren verschiedenen Gesichtern, von denen vielen nur das des eher spröden Europaviertels bekannt ist.
Ich hatte das Gefühl, er kehrt in sein Wohnzimmer zurück.
Der CDU-Politiker Gunther Krichbaum über einen Brüssel-Besuch mit Merz
„Ich hatte das Gefühl, er kehrt in sein Wohnzimmer zurück, als ich Friedrich Merz nach seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden nach Brüssel ins Europäische Parlament begleitet habe“, erzählt Parteifreund Gunther Krichbaum, der in Merz’ Regierung Europastaatssekretär im Auswärtigen Amt geworden ist von einem Besuch im Jahr 2022, als Merz schon anfing, sich für kommende Aufgaben warmzulaufen.
Das Amt sieht eine europäische Führungsrolle vor
Schon als Oppositionsführer im Bundestag hat der 69-Jährige regelmäßig an den Treffen der Europäischen Volkspartei teilgenommen. Aber natürlich ist die Aufmerksamkeit nun als Bundeskanzler, der im Europäischen Rat als Regierungschef von Europas größter Volkswirtschaft automatisch eine Führungsrolle für sich beanspruchen kann, eine sehr viel höhere.
Für Friedrich Merz gilt das gleich doppelt, weil er schon vor der Wahl die Europapolitik seines SPD-Vorgängers Olaf Scholz hart kritisiert und Besserung gelobt hat. Priorität werde die EU in seiner Regierung haben, hieß es schon früh. Seinen Ministerinnen und Ministern verordnete er für die Treffen mit den europäischen Amtskollegen, die zu Ampelzeiten nicht nur gelegentlich einmal geschwänzt wurden, Anwesenheitspflicht.
Nach vielen, vielen Jahren zurück in Brüssel möchte ich gerne meinen persönlichen Beitrag dazu leisten, dass Europa erfolgreich in die nächsten Jahre geht.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vor dem EU-Gipfel
Das kurze Statement, das der Kanzler vor Gipfelbeginn abgibt, zielt auch in diese Richtung. „Nach vielen, vielen Jahren zurück in Brüssel möchte ich gerne meinen persönlichen Beitrag dazu leisten, dass Europa erfolgreich in die nächsten Jahre geht“, sagt Merz in die Mikrofone, um dann noch staatsmännischer zu werden: „Europa steht vor entscheidenden Wochen und Monaten. Die Unterstützung der Bundesregierung, der Bundesrepublik Deutschland hat diese Europäische Union.“
Der Glaube an das Projekt, mit der er die historische Verantwortung wie auch die Aussöhnung mit den Nachbarn nach der Nazi-Barbarei verbindet, hat sich dem früheren Europaabgeordneten tief eingebrannt. Ebenso aber ist Friedrich Merz der Meinung, dass die EU an ihren Schwächen arbeiten und sich verändern muss, um auch in Zukunft bestehen zu können.
„Wir registrieren ein regelrechtes Aufatmen, dass es mit ihm an der Spitze wieder eine europapolitisch engagierte Bundesregierung gibt“, berichtet Krichbaum aus dem Auswärtigen Amt, „gerade die Franzosen waren zum Ende der Scholz-Zeit hin regelrecht verzweifelt.“
Europäische Abstimmung schon vor der Wahl
Mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron oder mit Parteifreundin und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen befindet sich Merz schon bald zwei Jahre in einem regelmäßigen Austausch dazu, wie es im Fall einer Regierungsübernahme europäisch laufen könnte. Krichbaum, selbst 18 Jahre lang entweder Vorsitzender des Europaausschusses oder europapolitischer Sprecher der Union, attestiert seinem Parteichef deshalb auch, im neuen Kanzleramt bei den europäischen Themen „keinerlei Einarbeitungszeit“ gebraucht zu haben.
Sein erster EU-Gipfel am 52. Tag seiner Amtszeit ist denn auch nicht die erste europapolitische Tat des neuen Kanzlers. Schließlich legte seine Regierung „an Tag 1“ mit der Anordnung von intensivierten Kontrollen und Zurückweisungen an den Binnengrenzen einen europarechtlich wie -politisch hochumstrittenen Start hin.
Auf der anderen Seite startete er unter anderem mit Macron und Polens Premier Donald Tusk noch in derselben Woche eine Waffenstillstandsinitiative für die Ukraine. Hier band er also jene ein, die „not amused“ sind über die Konsequenzen des neuen deutschen Migrationskurses auf den Grenzverkehr in ihren Ländern.
Versöhnen und spalten gleichzeitig?
Friedrich Merz sieht diese Ambivalenz seiner bisherigen Regierungspolitik durchaus – er setzt auf die alte diplomatische Schule, dass sich über gute persönliche Beziehungen sowohl Dinge vorantreiben lassen als auch schwelende Konflikte beilegen lassen.
Am Rande des Nato-Gipfels wie auch beim EU-Gipfel hat er deshalb erneut das Gespräch mit Tusk über die Grenzfrage gesucht. Zugleich dokumentiert er mit dem Besuch eines Vortreffens der EU-Länder, die einen härteren Migrationskurs wollen, dass er in diesem Punkt auch nicht einfach die Segel streichen, sondern eine Gesamtlösung für besseren Außengrenzschutz will, um die Kontrollen im Innern baldmöglichst wieder herunterfahren zu können.
Natürlich gibt es weiterhin strittige Themen. Entscheidend aber ist, dass der Wille zum kompromissorientierten Gespräch vorhanden ist.
Europastaatssekretär Gunther Krichbaum
Die umfängliche Tagesordnung seines ersten Gipfels will es, dass viel von Merz’ Prioritätenliste an diesem Tag zur Sprache kommen. Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau stehen auf der Agenda – die Punkte, die er lange mit von der Leyen vorbereitet hat. Er fordert von ihrer EU-Kommission, „jetzt schnell zu einem Handelsabkommen mit den USA zu kommen“. Auch der Mercosur-Vertrag mit Lateinamerika ist ihm wichtig. Die aktuell erhobenen Zölle treffen die deutsche Wirtschaft schließlich hart – und gefährden den versprochenen Aufschwung.
Es geht aber auch um die Konsequenzen, der am Vortag von der Nato beschlossenen Aufrüstung für die Europäische Union – der Kanzler hat zwar selbst die Lockerung der Schuldenbremse dafür vorangetrieben, Eurobonds zur gemeinsamen Finanzierung aber will er nicht.
Kritik daran kommt von Grünen-Parteichefin Franziska Brantner, die selbst eine Vergangenheit als EU-Abgeordnete hat. „Wenn Friedrich Merz jetzt Europa in den Mittelpunkt stellt, ist das grundsätzlich zu begrüßen“, sagt sie, „es darf aber nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben.“ Eine unabhängigere EU verlange mutige Entscheidungen über neue EU-Strukturen und eben auch „eine verlässliche Finanzierung“, da müsse Merz „mehr tun, als die Nähe zu Washington zu suchen“,
„Natürlich gibt es weiterhin strittige Themen wie das Mercosur-Abkommen, Eurobonds für Verteidigung oder die Migrationspolitik“, räumt Merz’ europapolitischer Vertrauter Krichbaum ein: „,Entscheidend aber ist, dass der Wille zum kompromissorientierten Gespräch vorhanden ist.“
Nur sehr bedingt gilt das für den Nahen Osten. Vorübergehend hätte man denken können, dass sich der Kanzler auch in diesem Punkt europäischer aufstellen will, als er die Kritik aus anderen EU-Staaten aufnahm und vor einem Monat sein Unverständnis über das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza ausdrückte.
Das Wort von der „Drecksarbeit“, die Israel im Iran mache, machte diesen Eindruck schnell wieder vergessen. Auch beim EU-Gipfel will Merz klar widersprechen, wenn es um die Aussetzung eines europäischen Kooperationsabkommens mit Israel gehen sollte. Die Grüne Brantner will ebenfalls kein Aus des Abkommens, die Handelserleichterungen darin sollten aber wohl auf den Prüfstand. Merz, der Europäer, solle „hier ein europäisches Vorgehen nicht länger blockieren.“
- Bundesregierung
- CDU
- Deutscher Bundestag
- Die EU
- Emmanuel Macron
- Europapolitik
- Frankreich
- Friedrich Merz
- Israel
- Olaf Scholz
- Polen
- Schule
- SPD
- Ursula von der Leyen
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false