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Verfassungsschutz-Befugnisse: Früherer Innenminister Baum droht mit Verfassungsklage

Der FDP-Politiker Gerhard Baum hält es für verfassungswidrig, den Verfassungsschutz mit Befugnissen der Polizei auszustatten. Auch die SPD zeigt sich kritisch.

Zugriff auf Daten der Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen, Lauschangriffe: Der Bundesverfassungsschutz soll nach einem Konzept aus dem Innenministerium Befugnisse erhalten, die bisher der Polizei und der Justiz vorbehalten sind. Das Bundesinnenministerium bestätigte die Existenz des Strategiepapiers, in dem außerdem auch der genetische Fingerabdruck als "erkennungsdienstliche Standardmaßnahme" vorgesehen ist – jeder geschnappte Ladendieb müsste also künftig eine DNA-Probe über sich ergehen lassen.

Letztlich, so der durch die Süddeutsche Zeitung öffentlich gemachte Plan, sollten verdeckte Ermittler sogar Straftaten begehen dürfen, sofern das für ein "szenetypisches Verhalten" erforderlich sei.

Der Bundesverfassungsschutz beobachtet bisher vor allem extremistische Gruppen, die die Sicherheit Deutschlands gefährden und die "freiheitliche demokratische Grundordnung" bekämpfen – Neonazis, Linksextreme und islamistische Terrororganisationen. Auch die Abwehr ausländischer Spione, der Schutz vor Sabotage und die Sicherheit der deutschen Wirtschaft gehören zu seinen Aufgaben. Ermittlungen in konkreten Verdachtsfällen ist dagegen Sache der Polizei und Staatsanwaltschaften.

Mit dem Konzept aus dem Innenministeriums würde die strikte Trennung von Geheimdienst und Polizei, die sich Deutschland nach den Erfahrungen aus der Nazi-Diktatur auferlegt hatte, verwischt oder gar aufgehoben. Denn Kritiker befürchten, dass der Verfassungsschutz gleich ganz zur Polizei umgebaut werden könnte, und kündigen Widerstand an. "Eine Erweiterung der Kompetenzen auf Online-Durchsuchung und den Zugriff auf die Telekommunikations-Vorratsdaten sind mit dem Grundgesetz unvereinbar", sagte der frühere Bundesinnenminister und Rechtsanwalt Gerhart Baum ZEIT ONLINE. Er hoffe, dass der Plan aus Wolfgang Schäubles (CDU) Ministerium "keine politische Chance hat".

Für den Fall, dass der Plan nach der Wahl Realität würde, kündigte Baum an, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. "Selbstverständlich würde ich dagegen klagen", sagte er. "Das Vorhaben geht weit über das rechtlich Erträgliche hinaus." Baum verweist auf grundsätzliche Unterschiede zwischen Polizei und Geheimdienst: Der Verfassungsschutz sei "bewusst weit im Vorfeld tätig" und sei dabei "befreit von Bindungen an Staatsanwaltschaften, wie sie die Polizeien haben".

Auch SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy hält das Vorhaben für "vollkommen inakzeptabel", sagte er ZEIT ONLINE. "Der Bundesinnenminister hat die Balance zwischen den Sicherheitsinteressen des Staates und den Bürgerrechten vollkommen aus den Augen verloren." FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nannte das Papier eine "Horrorliste". Für Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast enthält es "alle Schandtaten zum Abbau des Rechtsstaates".

Dass das Strategiepapier Wirklichkeit wird, ist also unrealistisch. In jeder möglichen künftigen Regierungskoalition säße mindestens ein Gegner. Innenstaatssekretär August Hanning beeilte sich, das Konzept als eine Art Wunschliste und Ergebnis eines Routinevorgangs herunterzuspielen: Referatsleiter hätten wie bisher immer am Ende der Wahlperiode "in einer Stoffsammlung die erledigten und noch offenen fachlichen Punkte zusammengestellt", teilte er mit. "Dies dient ausschließlich dem eigenen Überblick der betroffenen Arbeitseinheiten."

Auch das Innenministerium versuchte eilends, den Eindruck zu zerstreuen, man wolle den Verfassungsschutz zur Polizei umbauen. "Der Verfassungsschutz bleibt Verfassungsschutz. Die Polizei bleibt Polizei", beteuerte ein Sprecher.

Bisher wäre es illegal, wenn der Verfassungsschutz Online-Durchsuchungen vornähme. Schäuble ließ im Frühjahr 2007 eine Dienstvorschrift kippen, in der ein Staatssekretär kurz vor Ende der rot-grünen Koalition derartige Online-Durchsuchungen gestattet hatte. Ob sich der Verfassungsschutz daran hält, weiß außerhalb kaum jemand mit Sicherheit zu sagen. Seit Jahren verlangt Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm nach diesem Mittel.

Recherchen des Grünen-Innenpolitikers Wolfgang Wieland hatten kurz vor Schäubles Verbot 2007 ergeben, dass Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst "eine heimliche Informationserhebung mittels Online-Durchsuchung" durchführen. Wieland sprach damals von einem "Skandal". Auch am Freitag zeigte er sich entsetzt von der bekannt gewordenen "Giftliste".

Ex-Innenminister Baum forderte, das verfassungsrechtlich "nicht präzise definierte" Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten schnell zu klären. "Wir müssen eine Grundsatzdebatte über die Trennung von Polizei und Verfassungsschutz und über die Aufgaben beider Institutionen führen", sagte der Liberale, der auch schon wegen der Online-Durchsuchung oder der Vorratsdatenspeicherung vor das Bundesverfassungsgericht gezogen war. Anlass dafür böten die anstehende verfassungsrechtliche Prüfung der Verfassungsschutzgesetze von Nordrhein-Westfalen oder Hessen. "Da kommt die Nagelprobe auf uns zu."

Quelle: ZEIT ONLINE

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