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Gordon Brown: Ganz unten auf der Charme-Skala

Kurz vor Übernahme des Premierminister- Postens mehrt sich die Kritik am britischen Schatzkanzler Brown. Der 55-Jährige sei besserwisserisch, arrogant und dickköpfig - nun hat ihm ein Parteifreund sogar "stalinistische Rücksichtslosigkeit" vorgehalten.

London - Es hätte ein ganz großer Tag für Gordon Brown werden sollen: Mit großem Tamtam stellte der britische Finanzminister den neuen Haushalt für das Königreich vor. Getragen wurde der 55-Jährige dabei von einer Entscheidung des Führungsgremiums der Labour-Partei, die ihn dem Amt des Premierministers wieder ein Stück näher bringt. Danach wird Brown ohne jede Wahl automatisch Nachfolger von Partei- und Regierungschef Tony Blair, wenn er keinen innerparteilichen Gegenkandidaten hat. Ein solcher Gegner ist derzeit nicht in Sicht. Und wenn die Partei doch noch einen Konkurrenten nach oben spülen sollte, dann nicht, weil sie an Brown politisch zweifelt. Es ist eher die menschliche Art und Weise des Schatzkanzlers, die vielen nicht behagt - und die einen früheren Vertrauten ausgerechnet jetzt an Stalin erinnert.

Lord Andrew Turnbull warf Brown "stalinistische Rücksichtslosigkeit" vor - und verdarb dem Schatzkanzler mit gutem Timing seinen großen Tag. Der frühere Kabinettssekretär gab weiter zu Protokoll, sein Ex-Chef behandele selbst Kabinettskollegen "mehr oder weniger mit totaler Verachtung". Diese Aussagen schlugen im Westminster-Viertel ein wie eine Bombe; so deutlich hatte bislang noch nie ein "hohes Tier" offen ausgesprochen, was viele denken: Brown gilt als notorischer Besserwisser, arrogant, dickköpfig und unfähig zur Teamarbeit. Als "Dampfwalze" wird er gern von den britischen Medien bezeichnet. Freunde dagegen sagen, Brown fordere so viel von sich und anderen, weil er etwas bewegen wolle. Es falle ihm dabei schwer, auf langsamer denkende Menschen zu warten.

Brown: Blair intellektuell überlegen

Dass der Sohn eines Pfarrers selbst Blair intellektuell überlegen ist, gilt als gesicherte Erkenntnis. Schon als Zwölfjähriger verfasste er Flugblätter für die Labour-Partei. Mit 16 Jahren begann er zu studieren. Bevor er sich ganz der Politik widmete, arbeitete Brown unter anderem als Universitätsrektor im schottischen Edinburgh und beim Fernsehen.

Im Parlament sitzt Brown seit 1983, wobei schnell sein politisches Geschick auffiel. Beim ersten Wahlsieg der von ihm und Blair ins Leben gerufenen "New Labour" übernahm der Schotte 1997 das Finanzministerium, nun stellte er bereits seinen elften Haushaltsentwurf vor. In seiner Zeit als Schatzkanzler fiel die Inflation in Großbritannien auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten. Die Arbeitslosigkeit war seit den 70er Jahren nie so niedrig.

Briten finden Brown suspekt

Trotz all dieser Erfolge blieb Brown den Briten suspekt. Lange Zeit galt der unverheiratete Schotte als Einzelgänger, der im Gegensatz zum Familienvater Blair die Herzen nicht so recht gewinnen konnte. Hinzu kam, dass Brown, weil er in seiner Jugend bei einem Rugbyspiel sein linkes Augenlicht verlor, immer etwas verkniffen guckt.

Menschlich nahbarer wurde der Schotte erst, als er mit knapp 50 Jahren Sarah Macaulay heiratete und beide bald darauf überglücklich verkündeten, dass sie Nachwuchs erwarteten. Als Töchterchen Jennifer Jane zehn Tage nach der Geburt starb, trauerte das ganze Land mit dem Minister. Fast einen Monat lang erschien Brown, der als Arbeitstier bekannt ist, nicht im Büro - und wurde seinen Landsleuten damit sympathischer. Inzwischen hat das Paar zwei kleine Söhne.

Diese wird Brown so oder so in Zukunft wohl noch seltener sehen als ohnehin. Nicht nur, dass er die eigene Partei mit einer Charme-Offensive überzeugen muss. Sollte er dann wie geplant im Sommer die Nachfolge von Blair antreten, wartet bis zur Wahl 2009 die Auseinandersetzung mit den britischen Konservativen. Sie kommen mit ihrem "Jungstar" David Cameron in jüngsten Umfragen auf sagenhafte 43 Prozent der Stimmen. Labour unter Brown würden derzeit gerade mal 28 Prozent der Briten wählen. (tso/AFP)

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