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Diskussion im Schloss Bellevue: Der Bundespräsident mit seinen Gästen Ian McEwan, Maren Urner und Steven Pinker (von links)

© Wolfgang Kumm/dpa

Diskussion beim Bundespräsidenten: Gegen die Weltuntergangsstimmung

Ein Wissenschaftsstar aus den USA, eine deutsche Medienforscherin und ein britischer Schriftsteller reden über gute Gründe, an eine bessere Welt zu glauben.

Gefährdung und Überleben der Demokratie, Zusammenhalt in Zeiten der Spaltung - für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist das das Thema seiner Amtszeit. Dafür bringt Steinmeier zu seinen "Kaffeetafeln" Bürgerinnen und Bürger unterschiedlichster politischer Überzeugungen zusammen und zum Reden miteinander, dafür bereist er unter dem Titel "Land in Sicht" die Gegenden außerhalb der Städte, die sich mehr und mehr abgehängt sehen. Im "Forum Bellevue" hat er bereits achtmal seit 2017 sachkundige Gäste aus dem In- und Ausland zu Debatten über die Zukunft der Demokratie eingeladen. Dort ging es bisher um die Zukunft des Westen und der Europäischen Union, die Rolle von Religion und die Aufgaben von Intellektuellen heute.

Für einen konstruktiven Journalismus

Am Montag nun richtete sich der Blick in die Zukunft. Zum Verhältnis von Demokratie und Fortschritt hatte Steinmeier den Kognitionswissenschaftler und Psychologieprofessor Steven Pinker von der Universität Harvard eingeladen sowie die Kölner Medienpsychologie-Professorin Maren Urner und den britischen Schriftsteller Ian McEwan. Die beiden ersten nicht zuletzt deshalb, weil sie, wie der Präsident durchblicken ließ, in ihren jüngsten Veröffentlichungen jenem Vertrauensverlust und Demokratie-Pessimismus entgegentreten, der ihn, wie er in seiner Begrüßungsrede sagte, "regelrecht auf die Palme bringe".

Urner plädiert in ihrem Bestseller "Schluss mit dem täglichen Weltuntergang" unter anderem für "konstruktiven Journalismus". Das heiße nicht, dass man die Welt schönfärbe, erklärte sie in der Diskussion. Die Medien sollten aber "realistischer berichten", was auch heiße: Positiver. Und nach Schilderung jedes Problems auch sagen, wie es weitergehen kann. Urner: "Zwei Wörter: Was jetzt? Mehr braucht es eigentlich nicht." Andernfalls förderten sie gefährliche Rückzüge aus der Demokratie, die Menschen verschanzten sich aus Überforderung im Privaten: "Wenn immer mehr von ihnen Marmelade einkochen, statt sich um die Welt zu kümmern, ist das problematisch für die Demokratie." Ohnehin reagiere das "Steinzeittier" in uns auf Gefahrmeldungen und negative Nachrichten stärker als auf positive. Aber digitale Medien, ein Journalismus, der Klicks generieren müsse, "macht das schlimmer".

Der Welt geht's immer besser - auf lange Sicht betrachtet

Und setzt die Welt dabei auf Kosten der Tatsachen ins falsche Licht, meint Steven Pinker, der darüber letztes Jahr das Buch "Aufklärung jetzt" veröffentlichte, ein Plädoyer "für Vernunft Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt", so der Untertitel. In Wirklichkeit werde nämlich nicht alles schlimmer, sondern insgesamt besser: Noch in den 70er Jahren habe es gerade eben 31 demokratische Länder in der Welt gegeben, die Lebenserwartung sei seit dem 19. Jahrhundert drastisch gestiegen, weniger Menschen denn je stürben durch Kriege oder Naturkatastrophen, es gebe weniger rassistische Gesetze in der Welt und das Bildungsniveau steige kontinuierlich. Und die neuen Neigungen zur Autokratie seien auch nur ein Teil der Wahrheit, tatsächlich gebe es von Tunesien und Äthiopien bis Hongkong neue Kämpfe für Demokratie. Nein, eigentlich habe er gar "kein optimistisches Temperament", sagt Pinker, als Steinmeier ihn fragt, wie er zur Idee für sein Buch gekommen sei. "Aber ich war überrascht, als ich auf diese Datensätze stieß." Dass sie so wenig wahrgenommen werden, liege auch daran, dass die Zusammenhänge, anders als aktuelle Katastrophenmeldungen, erst über längere Zeit sichtbar würden. "Fortschritt geschieht Schritt für Schritt, und er braucht Erklärung." Pinker ist zuversichtlich, dass das auch für die Digitalisierung und neue Medien gelten wird. Aus der historischen Forschung wisse man, dass bereits die massenhafte Verbreitung von Wissen durch den Buchdruck vor 500 Jahren Büchern zunächst dazu führte, dass auf einmal wertvolles Wissen in einem undurchschaubaren Chaos ebenso verfügbar war wie wilde Gerüchte und Falschbehauptungen. Erst mit der Zeit hätten sich vertrauenswürdige Medien herausgeschält und das Rennen gemacht.

Die Weisheit der Menge

Ian McEwans Werk kommt in der zuversichtlichen Runde ein wenig die Rolle des Spielverderbers zu. In seinem Roman "Maschinen wie ich" hat er Adam geschaffen, einen ebenso klugen wie hochmoralischen Roboter, dessen Ethik hart mit der viel weniger anspruchsvollen Praxis der Menschen zusammenstößt. Der Nachfolger "Die Kakerlake" behandelt den Brexit, für McEwan ein Höhepunkt der Irrationalität in der britischen Geschichte. "Sie erwischen mich gerade in einem sehr dunklen Moment", sagt er. Aber auch er sieht Gründe, "mir meinen Optimismus zu erhalten". Das Konzept der "deliberativen Demokratie" sei so einer, der öffentlichen Erörterung als Ergänzung parlamentarischer Verfahren. In Bürgerversammlungen erörterten tausend zufällig, aber repräsentativ ausgewählte Menschen Argumente und erarbeiteten Lösungen für gesellschaftliche Aufgaben. Welch gute Ergebnisse dabei die "Weisheit der Menge" erzeugen könne, das sei faszinierend, sagt McEwan.

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