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Die SPD befindet sich im Umfragetief, daran konnte bisher auch die neue Parteiführung nichts ändern.

© Patrick Pleul dpa/lbn

Gegen Umfragetief und Bedeutungsverlust: Die SPD muss ihren klassischen Ansatz zukunftsfähig machen

Mit dem Fokus auf die Arbeiterklasse kommen die deutschen Sozialdemokraten nicht weiter. Sie müssen ihre Ideen auf die Zukunft ausrichten. Ein Gastbeitrag.

Rainer Faus ist geschäftsführender Gesellschafter der pollytix strategic research gmbh.
Fedor Ruhose ist Policy Fellow des Think Tanks „Das Progressive Zentrum“ und Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz.

Auch in diesem Jahr nehmen die Analysen des Niedergangs der Sozialdemokratie schon wieder großen Raum in den Medien ein. Es gibt so etwas wie eine Mainstream-Analyse, die Mantra-artig wiederholt wird, auch dem neuen SPD-Führungsduo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wurde sie schnell präsentiert: In dieser Analyse hat die Sozialdemokratie „die Arbeiterklasse“ vergessen.

Dafür wird auf einen populären Gegensatz zwischen den sogenannten „Somewheres“ und den sogenannten „Anywheres“ verwiesen. Mit diesen Begriffen möchte der englische Publizist David Goodhart auf die vermeintliche Spaltung zwischen einer liberalen und urbanen „Jet-Set“-Elite und den heimatverbundenen Menschen, welche in strukturschwachen Regionen leben oder eben fest in der Arbeiterklasse verwurzelt sind, aufmerksam machen.

Obwohl diese beiden von Goodhart beschriebenen Gruppen in Deutschland empirisch kaum nachweisbar sind, wird daraus geschlussfolgert, dass die SPD als Volkspartei keinen Bestand mehr haben kann und sich für eine Seite entscheiden muss. Aufgrund einer scheinbar liberal positionierten Union und den Grünen müsse sich die SPD auf die Arbeiterklasse fokussieren.

Doch liegt die Sache nicht eigentlich anders? In der jüngsten Vergangenheit war die SPD für gar kein Wählersegment mehr interessant, sie hat keine ‚Hochburgen‘ mehr. Diejenigen, die sich eine offene Gesellschaft wünschen, wählen derzeit überwiegend grün: Der grüne Höhenflug von 2019 beruht stark auf einer Bewegung sozialliberaler Segmente von der SPD zu den Grünen.

Die SPD verliert zahlreiche Wählerinnen und Wählern an die Grünen

Die SPD hat ein Vielfaches an Wählerinnen und Wählern an die Grünen als an die AfD verloren. Und wenn die wenigen ehemaligen SPD-Wähler, die die AfD unterstützen, ein Bündnis mit Herrn Höcke nicht schreckt, ist fraglich, ob die SPD für sie jemals wieder attraktiv sein könnte.

Was also tun? Zunächst wäre es sinnvoll, sich die Zahlen anzuschauen. Die SPD hat seit 1998 unter den Arbeiterinnen und Arbeitern Wahlanteile verloren. Unter Gerhard Schröder wählten noch 48 Prozent in dieser Gruppe die SPD, 2017 waren es nur noch 23 Prozent. Gleichzeitig hat sie aber auch bei Angestellten ähnlich stark an Strahlkraft verloren. Dort war es ein Rückgang von 42 Prozent in 1998 auf 21 Prozent in 2017.

Das Dokument „Aus Fehlern lernen“ über die Probleme der SPD, welches im Nachgang zur Bundestagswahl 2017 vom damaligen Parteivorstand in Auftrag gegeben wurde, zeigt: Die SPD verliert – mehr oder weniger uniform – in allen Bevölkerungsgruppen.

Mit der Arbeiterklasse kann die SPD keine Wahlen gewinnen

Dass die SPD bei Arbeitern wieder gewinnen muss, ist damit eine Festlegung aus nostalgischen Gründen. Rein wählermathematisch kann die SPD damit keine Mehrheiten gewinnen. Selbst wenn 100 Prozent der heutigen Arbeiter die SPD wählen würden (was natürlich historisch nie der Fall war), wäre ihr Ergebnis nicht höher als die Umfragewerte, die sie heute zwischen 13 und 15 Prozent sehen.

Hinzu kommt, dass die Arbeiterschaft heute sehr heterogen ist. Von ungelernten bis zu hochqualifizierten Facharbeitern ist dort alles vertreten, dementsprechend gibt es auch kein Klassenbewusstsein mehr. Außerdem gibt es die oben angesprochene Dichotomie zwischen Somewheres und Anywheres in Deutschland so eben gerade nicht.

Die Menschen wollen gesellschaftliche Öffnungsprozesse kontrollieren

Bei den meisten gesellschaftspolitischen Themen werden Einstellungsunterschiede zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen deutlich überschätzt: In weiten Teilen der Gesellschaft gibt es gleichzeitig sowohl einen Wunsch nach Individualisierung als auch nach Gemeinschaft.

Für die SPD erreichbare Segmente der Gesellschaft zeigen sich überwiegend weltoffen, wenn auch sie Probleme bei Integration von Zuwanderern sehen. Wichtig ist, dass das Gefühl bleibt, dass sie die Kontrolle über die gesellschaftlichen Öffnungsprozesse, sei es nun die wirtschaftliche Globalisierung oder die Zuwanderung, und damit eben entsprechend über ihren Alltag behalten.

Verteilungsfragen und Zukunftssorgen sind relevante gesellschaftliche Probleme

Was also tun? Zunächst einmal gilt es, die Debatte der SPD mit anderen Gesellschaftsanalysen zu bereichern, denn die Diskussion über die angeführten Gegensätze, die einer empirischen Basis entbehren, ist eine fruchtlose Debatte. Sie ist ein gefährliches Trugbild: Die Bindung von Wählern an Parteien kann natürlich durch den sozialen Wandel erodieren.

Es gibt bei den meisten Themen, die unsere Gesellschaft bewegen, allerdings kaum schichtspezifische Unterschiede. Die Hans-Böckler-Stiftung hat dies vor kurzem erst an der Einstellung zur Bekämpfung des Klimawandels gezeigt. Auch wenn es bei dem für viele zum Tabuthema stilisierten Zuwanderungsfragen natürlich Ängste gibt, so sind auch diese nicht so stark schichtspezifisch formuliert, wie dies suggeriert wird.

Allerdings bestehen reale Verteilungskonflikte und Zukunftssorgen sind in unteren Schichten der Gesellschaft weiter verbreitet. Dies zu adressieren ist notwendig. Aber als Partei kann man nicht erfolgreich sein, wenn man nur „der einen“ Klasse oder wie immer man es nennen mag, nach dem Mund redet. Noch dazu, wenn es diese so eigentlich nur in der Vorstellung gibt.

Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen befürwortet den Sozialstaat

Ein Blick auf erfolgreiche sozialdemokratische Parteien zeigt: Immer wenn sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu ihrem klassischen Ansatz bekennen und eine soziale und zukunftsorientierte Politik anbieten, kann sie breite gesellschaftliche Unterstützung mobilisieren - auch und gerade unter junge Menschen.

Denn der klassische sozialdemokratische Ansatz ist von bestechender Modernität in Zeiten des Klimawandels, der Digitalisierung und der Gefahr des Rechtspopulismus. Zudem gibt es nach wie vor eine große und ultrastabile Mehrheit in Deutschland, über alle Schichten und Milieus hinweg, die einen sozialstaatlichen Grundkonsens befürwortet und die für die SPD erreichbar ist.

Stabilisierung durch Wiederbelegung der klassischen Sozialdemokratie

Die Beschlüsse der SPD zu einer Überwindung von Hartz IV in Verbindung mit einer neuen Parteiführung kann zu einem neuen Vertrauen der Menschen in die Sozialdemokratie führen. Die Partei entwickelt mit ihrem Bürgergeld darüber hinaus ein Konzept, das zeigt, dass sie sich auch mit den Zukunftsfragen auseinandersetzen kann.

Eine Diskussion über die Zukunft der Arbeitswelt steht dem "Betriebsrat der Digitalisierung", wie Saskia Esken die Aufgabe der SPD beschrieben hat, besser zu Gesicht als die ewige Debatte zur Großen Koalition. Eine Wiederbelebung der klassischen Sozialdemokratie unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen kann zunächst zu einer Stabilisierung führen - und ein geschlossener Auftritt kann auch wieder mehr Erfolg bei den Wählerinnen und Wähler bringen.

Rainer Faus, Fedor Ruhose

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