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Kopftuch vor Gericht: Bürgerrechtler:innen kritisieren, dass das Kopftuchverbot weit über den öffentlichen Dienst hinaus wirkt - hier die Kundenberaterin eines Drogeriemarkts, die gegen das Verbot ihres Arbeitgebers vor Gericht zog.

© Uwe Anspach/pa-dpa

Gesetz über Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten: "Weder durch die Hinter- noch durch die Vordertür ein Kopftuchverbot"

In Eile hat der Bundestag ein Gesetz über Tattoos und Kleidung öffentlich Bediensteter beschlossen. Kritikerinnen fürchten neue Kopftuchverbote.

Nach der Verabschiedung eines Gesetzes "zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten" verteidigen Abgeordnete der Koalition das Gesetz. Es sei nicht gegen das Kopftuch der muslimischen Frauen gerichtet. Es gebe "aus ihrer Sicht keine Änderungen bezüglich der Rechtslage" und kein allgemeines Kopftuchverbot, wie dies teils in den Medien befürchtet werde., sagte Lars Castellucci, Sprecher der SPD-Fraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften, dem Tagesspiegel. Es sei darum gegangen, die "Ermächtigungsgrundlage" für Regelungen zu bestimmen, wie Beamtinnen und Beamte sich zeigen dürfen: "Entsprechende Regelungen müssen sich auch künftig an die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten, wonach eine Einschränkung oder Untersagung zum Beispiel von Merkmalen des Erscheinungsbildes, die religiös oder weltanschaulich konnotiert sind, nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist." Castellucci zitierte die Worte eines Vertreters des Innenministeriums im Ausschuss, es gebe durch das Gesetz "weder durch die Hintertür noch durch die Vordertür ein Kopftuchverbot.”

Dies aber erwarten Kritikerinnen und muslimische Aktivistinnen. Das "Aktionsbündnis muslimischer Frauen", das sich seit Jahren gegen berufliche Ausschlüsse von kopftuchtragenden Frauen einsetzt, erklärte in einer Stelllungnahme, so werde der freie Zugang zum öffentlichen Dienst abgeschafft, für den nur die Qualifikation zähle. Das Gesetz stigmatisiere "vor allem Musliminnen und jüdische Männer als Menschen, denen, wenn sie hoheitlich tätig sind, von vornherein - sozusagen mit staatlichem Segen - mit Misstrauen begegnet werden kann".

Erst letztes Jahr Erfolg einer Lehrerin vor dem Bundesarbeitsgericht

Auch für die Oppositionsfraktionen, die sich entweder der Stimme enthielten - Grüne und FDP - oder dagegen stimmten, wie die Linke, nannten diese Befürchtung als Grund für ihr Stimmverhalten, ebenso die AfD, die mit den Regierungsfraktionen stimmte, weil sie die Handhabe gegen Kopftuchträgerinnen begrüßt, die das Gesetz aus ihrer Sicht bietet. Im Ausschuss wurde auch nach Informationen des Tagesspiegels auch nur über das Kopftuch gesprochen. Die jüdische Kippa, die von dem Gesetz genauso betroffen ist, war kein Thema.

Die Kopftuchfrage schwelt seit beinahe einem Vierteljahrhundert. Baden-Württemberg versagte 1998 der Lehrerin Fereshta Ludin die Einstellung als Lehrerin wegen ihres Kopftuchs. Sie zog dagegen bis vors Verfassungsgericht. Das hat in mehreren Entscheidungen in den letzten 20 Jahren pauschalen Kopftuchverboten im öffentlichen Dienst Grenzen gesetzt. Vor sechs Jahren entschied es, dass allein das Tragen eines Kopftuchs kein Grund sei, die Neutralität einer Beamtin oder anderen öffentlich Bediensteten anzuzweifeln. Daraufhin änderten einige der acht Bundesländer, die Kopftuchgesetze erlassen hatten, deren Regelungen. Das Land Berlin kassierte wegen seines "Neutralitätsgesetzes" erst im vergangenen Jahr eine höchstrichterliche Rüge. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt gab einer Lehramtsbewerberin Recht, die ihres Kopftuchs wegen keine Stelle bekommen sollte. Das Gesetz, das der Bundestag jetzt verabschiedete, macht nun aber sogar bundesweite Vorgaben: Deren "jeweiligen obersten Dienstbehörden" heißt es in der Begründung, "wird durch das vorliegende Gesetz die Möglichkeit geschaffen werden, auch das Tragen von religiös oder weltanschaulich konnotierten Formen des Erscheinungsbilds (...) einzuschränken oder zu untersagen".

Anlass für das jetzige Gesetz waren ohnehin keine religiösen Zeichen, sondern ein mit NS-Zeichen tätowierter Berliner Polizist, dessen Entfernung aus dem Dienst das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung von 2017 bestätigt hatte: Ein Beamter, der sich mit einer Auffassung, die der Werteordnung des Grundgesetzes widerspricht, derart identifiziert, dass er sie sich in die Haut eintätowieren lässt", entschied das Leipziger Gericht, "ist nicht tragbar." Obwohl die Sichtbarkeit der Tattoos gar nicht Grundlage der Entscheidung waren, sondern die Gesinnung dahinter, gab das Gericht dem Gesetzgeber seinerzeit auch auf, Vorschriften zum Äußeren von Beamtinnen und Beamten auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.

Gesetz ohne Aussprache im Parlament verabschiedet

Schließlich greife das in deren Persönlichkeitsrechte und auch private Lebensführung ein. Ergebnis war das Gesetz, das am Donnerstag den Bundestag passierte - ohne Aussprache im Plenum.

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Schon dieses Verfahren halten die Grünen für problematisch: Man sehe es "als extrem kritisch an, dass eine Regelung mit einer solchen, auch verfassungsrechtlichen Tragweite ohne vorherige Diskussion nun auf einem solchen Wege vorgenommen werden soll", sagte ihre migrations- und religionspolitische Sprecherin Filiz Polat. Zugestimmt haben sie dennoch, weil, so Polat, es "durchaus Handlungsbedarf" in Fällen gebe wie dem bestimmter Tattoos, die begründetes Misstrauen in die neutrale Amtsführung von Beamtinnen und Beamten entstehen lassen könnten. Das Schutzbedürfnis für religiöse Kleidung sei aber höher einzuschätzen als das eines Tattoos, so Polat. Neben einem Kleidungsstück brauche es nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch weitere Umstände, die an der Amtsführung einer Beamtin zweifeln ließen: "Ein Kippa- oder Kopftuchverbot durch die Hintertür lehnen wir ab."

Auch die Linksfraktion wollte sich nach den Worten ihrer Fachfrau für Religionsfragen, Christine Buchholz, nicht gegen das Verbot nazistischer oder anderer heikler Zeichen stellen. "Aber das hätte man ja getrennt und ohne Verbindung zu religiöser Kleidung regeln können", sagte sie dem Tagesspiegel. Entsprechend ärgerlich sei es, dass das Nein ihrer Fraktion das einzige geblieben sei. "Im Ausschuss haben SPD und CDU abgewiegelt", sagt Buchholz, die selbst nicht Mitglied des Innenausschusses ist. "Die Befürchtung ist aber sehr real, dass das neue Gesetz gegen das Kopftuch ausgelegt wird.

Es beträfe zwar auch jüdische Männer mit Kippa: "Wir wissen aber, dass es in der Realität vor allem muslimische Frauen ausschließt." Auch im Fall der Berliner Lehramtsbewerberin habe die Vorsitzende Richterin in Erfurt betont, dass es einer Kopftuchträgerin nicht nur des Tuchs wegen unterstellt werden könne, sie wahre die gebotene Neutralität nicht. "Was sie tut, ist entscheidend und nicht das, was ihr Gegenüber glaubt, das sie glauben oder tun könnte". Wenn die Entscheidung über Kopftuch oder nicht in die Hände der Dienstbehörden gelegt werde, sei es wahrscheinlich, dass ein verbreiteter Verdacht gegen Frauen mit Kopftuch weitertransportiert werde, sagte Buchholz dem Tagesspiegel. Solche Entscheidungen fielen ja nicht im luftleeren Raum. "Die Sorge von Betroffenen und Aktivistinnen ist aus meiner Sicht berechtigt."

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