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Politik: Gespannte Ruhe herrscht in Dili - der Abzug der Indonesier verzögert sich, die Milizen bleiben unberechenbar

"Haut ab! Das ist immer noch Indonesien", ruft ein zorniger indonesischer Offizier den britischen Soldaten zu, die auf der Suche nach einem Heckenschützen in seine Kaserne in Dili eindringen.

"Haut ab! Das ist immer noch Indonesien", ruft ein zorniger indonesischer Offizier den britischen Soldaten zu, die auf der Suche nach einem Heckenschützen in seine Kaserne in Dili eindringen. Andernorts zünden abziehende indonesische Soldaten ihre Kaserne vor den Augen nepalesischer Gurkhas unter britischem Kommando in Brand. "Lasst sie uns vertreiben", sagt einer der Gurkhas. Ein australischer Soldat mahnt zur Besonnenheit: "Nicht schießen." In den letzten Tagen der 24 Jahre dauernden indonesischen Besatzung Ost-Timors gibt es eine ganze Reihe derart spannungsgeladener Momente. Die Lage in der Hauptstadt Dili und anderen Orten ist längst nicht unter Kontrolle.

Nach wie vor besteht die Gefahr einer Konfrontation zwischen der UN-Eingreiftruppe, der indonesischen Armee und den Milizen. Jakarta hat zwar eine Zusammenarbeit mit den ausländischen Truppen zugesagt, die Ordnung und Sicherheit in der Region wiederherstellen sollen. Solange Angehörige beider Armeen in den Straßen Dilis patrouillieren, besteht aber die Gefahr, dass ein versehentlicher Schuss oder ein anderer kleiner Zwischenfall Schießereien auslösen könnte.

Viele indonesische Soldaten möchten Ost-Timor nicht verlassen, wo Tausende ihrer Kameraden seit der Invasion 1975 ums Leben gekommen sind. Ost-Timor war die erste und einzige Eroberung dieser Armee, und der mit dem Unabhängigkeitsreferendum vom 30. August eingeleitete Verlust der Provinz und die UN-Intervention sind bittere Lektionen für das einflussreiche indonesische Militär. Als Reaktion zünden die Soldaten vor ihrem Abzug täglich einige der wenigen Häuser an, die in der Stadt mit ehemals 120 000 Einwohnern noch stehen, darunter auch ihre eigenen Kasernen. Scharfe Munition bleibt zurück, die in der Hitze explodieren wird. Die Friedenstruppen greifen nicht ein. "Das neue indonesische Motto: Traut niemals einem Australier", heißt es auf englisch auf einem Mauergraffiti. Zum Klima der Konfrontation trägt bei, dass der Abzug der indonesischen Truppen durch Organisationsmängel verzögert wird. Der Hafen von Dili sei regelrecht verstopft, berichtet ein Offizier der Interfet-Truppe.

Das enttäuschende Verhalten der Indonesier, heißt es auf australischer Seite, mache es schwieriger, ein sicheres Umfeld für die Bewohner der Stadt zu schaffen. Es kehrten zwar weiter Flüchtlinge nach Dili zurück, berichten Soldaten der Eingreiftruppe. Unter ihnen seien jedoch offensichtlich auch pro-indonesische Milizen oder andere Unruhestifter. Einige Führer der äußerst brutalen Milizen wurden seit Montag festgenommen. Für Ärger sorgt auch der Diebstahl von Hilfslieferungen durch indonesisches Militär. Die Eingreiftruppe muss daher Hilfskonvois absichern.

Doch nicht nur Konfrontation herrscht auf den Straßen von Dili: Manchmal winken sich beide Seiten zögerlich zu, oder sie tauschen sogar ein Lächeln aus. Aber es kommt auch vor, dass indonesische Soldaten den Friedenshütern mit Gesten drohen und beispielsweise das Durchschneiden der Kehle andeuten. Um Missverständnissen vorzubeugen und die "Gegner" nicht zu provozieren, haben die UN-Soldaten strikte Anweisung, keine Gesten wie etwa das "V"-Zeichen für Frieden oder Sieg zu machen.

Am Donnerstag feuerten indonesische Soldaten Salven ab, während sie durch die australischen und britischen Sektoren Dilis fuhren. Verletzt wurde niemand. Der Kommandeur des britischen Kontingents, Brigadegeneral David Richards, sagte, die Schützen hätten die Reaktion seiner Männer testen und zeigen wollen, dass die Stadt nicht unter der Kontrolle der UN-Eingreiftruppe stehe. Es gibt aber auch positive Ansätze: Einige indonesische und australische Einheiten gingen gemeinsam auf Patrouille. Einige der australischen Soldaten nahmen sogar ein wenig Unterricht in indonesischer Sprache.

Sollte es zu einer Konfrontation kommen, würden die gut ausgebildeten und disziplinierten Eingreiftruppen die Oberhand behalten. Sie sind mit Helmen, Schutzwesten, Hubschraubern und Panzerwagen ausgerüstet. Seit Beginn der UN-Mission am Montag sind mindestens 3000 Friedenshüter in Ost-Timor eingetroffen, weitere 4500 sollen folgen. Von ehemals 10 000 in der ehemaligen portugiesischen Kolonie stationierten indonesischen Soldaten sollen bis zum Wochenende mehr als 6000 abgezogen sein. Auch die übrigen sollen gehen, wenn die gesetzgebende Versammlung Indonesiens Ost-Timor im November formell in die Unabhängigkeit entlässt.

Christopher Torchia

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