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Aus Vorkasse werden Zusatzkosten. Kritiker halten das vom Gesundheitsminister ersonnene Modell für eine „Lizenz zum Gelddrucken für Ärzte“.

© pa/dpa

Gesundheitspolitik: Risikofaktor Vorkasse

Die Koalition erhofft sich von mehr Kostenerstattung höhere Transparenz und kostenbewusstere Patienten. Wenige wählen jedoch bislang das Modell, das der Gesundheitsminister fördern will.

Die gesetzlichen Kassen wehren sich gegen das Vorhaben der schwarz-gelben Koalition, die sogenannte Kostenerstattung für Kassenpatienten attraktiver zu machen. Konkret soll dies über eine kürzere Bindungsfrist für solche Tarife und einen geringeren Verwaltungskostenaufschlag geschehen. Bisher mussten sich gesetzlich Versicherte, die mit ihrem Arzt direkt abrechnen und so in den Status einer Art Privatpatient gelangen wollten, für mindestens ein Jahr darauf verpflichten. Daraus soll nun ein Vierteljahr werden. Zudem ist vorgesehen, die Mehrkosten, die den Versicherten von den Kassen für diese Tarife in Rechnung gestellt werden, auf fünf Prozent zu begrenzen. Die Koalition erhofft sich von mehr Kostenerstattung höhere Transparenz und kostenbewusstere Patienten.

Kürzere Bindungsfristen seien für die Solidargemeinschaft jedoch von Nachteil, warnte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). In der Folge sei mit problematischem Wechselverhalten zu rechnen, sagte Sprecherin Ann Marini. „Man verschiebt notwendige Behandlungen, um einen finanziellen Vorteil einzustreichen und kehrt zum solidarisch finanzierten Sachleistungsprinzip zurück, wenn kostenintensive Behandlungen anstehen.“ Eine derartige Selbstbedienungsmentalität würde dem Solidargedanken der GKV zuwiderlaufen, so die Sprecherin. Außerdem bewirkten kürzere Laufzeiten, dass die Tarife für die Kassen schwerer kalkulierbar seien.

Die Techniker-Krankenkasse (TK) dagegen begrüßte die geplante Fristverkürzung als Verbesserung im Sinne der Versicherten. Sie wandte sich aber gegen den Plan, den in Rechnung zu stellenden Mehraufwand für Kostenerstattung auf fünf Prozent der Rechnungssumme zu begrenzen. „Jede Kasse sollte selber entscheiden dürfen, wie viel sie dafür nimmt“, sagte Sprecherin Nicole Ramcke. Bisher reduziert die TK bei ihren Kostenerstattungs-Patienten die Rückzahlungssumme um zehn Prozent. Die Barmer GEK verlangt für den Zusatzaufwand 7,5 Prozent.

Von den 8,6 Millionen Versicherten der Barmer GEK haben sich bisher nur rund 30 000 für Kostenerstattung entschieden. Das sind 0,35 Prozent. In erster Linie handle es sich um frühere Angestellte, Pensionäre und Selbstständige aus den alten Bundesländern, heißt es in der Kassenstatistik. Der Teilnehmeranteil aus den neuen Bundesländern beträgt in der ehemaligen Barmer Ersatzkasse 0,6 Prozent. Außerdem kämen die meisten Kunden mit Kostenerstattungstarif aus Städten und der älteren Generation, der Altersdurchschnitt liege bei 60 Jahren.

Diese Klientel wolle vor allem Kostenübersicht und vom Arzt wie Privatpatienten behandelt werden, mutmaßen die Versicherer. Der Preis dafür ist jedoch das Risiko, auf einem Großteil der Arztkosten sitzenzubleiben. Bei der Barmer GEK müssen Kostenerstattungspatienten nach Kassenangaben im Schnitt zwei Drittel ihrer Arztkosten tragen, bei der TK sind es, inklusive Verwaltungskostenabschlag, 64 Prozent. Dagegen helfen Zusatzversicherungen, die jedoch bislang nur zögerlich abgeschlossen werden.

Entsprechend deutlich sind die Warnungen der Kassenchefs. Mehr Kostenerstattung bedeute keineswegs mehr Patientenfreiheit, sagte die Barmer-GEK-Vorstandsvorsitzende Birgit Fischer dem Tagesspiegel. „Sie ist vor allem eines: Vorkasse und Teilkostenerstattung.“ Und dass dadurch das Kostenbewusstsein der Patienten gesteigert werde, sei geradezu abwegig. Stattdessen würden „Verwaltungsaufwand und ärztliche Honorarfantasien befördert“, sagte Fischer. Die Vizevorsitzende der SPD-Fraktion, Elke Ferner, nannte die Pläne eine „Lizenz zum Gelddrucken für die Ärzte“. Mit Beitragserhöhung, Kopfpauschale und Kostenerstattung würden die Versicherten „endgültig zu den Melkkühen der Nation“. Sie könne nur jedem raten, sich nicht auf solche Vorkassemodelle einzulassen.

Unterdessen verlangte der Freie Verband Deutscher Zahnärzte, die Zahnbehandlung vollständig aus der gesetzlichen Krankenversicherung auszukoppeln. Stattdessen sollten Versicherte zusätzlich eine Pauschale zahlen, aus der dann allein die Zahnbehandlung finanziert werde, sagte Verbandschef Karl-Heinz Sundmacher. Im Gegenzug könne der gesetzliche Kassenbeitrag um den Anteil der Zahnbehandlung reduziert werden. Im vergangenen Jahr belief sich der Posten Zahnbehandlung bei den Krankenkassen auf 6,6 Prozent der Gesamtausgaben.

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