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Politik: Geteilter Teil

Die türkischen Zyprer wählen – eine Hälfte will die Wiedervereinigung, die andere die Autonomie

Es ist eine Wahl in einem winzigen Staat, der für die internationale Gemeinschaft überhaupt nicht existiert – und doch ist der Urnengang wichtig für die ganze EU. Wenn die 140 000 Wähler im türkischen Teil Zyperns am heutigen Sonntag ein neues Parlament bestimmen, entscheiden sie über weit mehr als nur über eine neue Volksvertretung.

Auch das Schicksal der türkischen EU-Bewerbung steht auf dem Spiel. Siegt die pro-europäische Opposition in Nordzypern, dann könnte es einen Neubeginn bei den Bemühungen um eine Wiedervereinigung der in einen türkischen und einen griechischen Sektor geteilten Insel geben. Bei einem Erfolg dieser Bemühungen würde die Türkei voraussichtlich mit dem baldigen Beginn von EU-Aufnahmeverhandlungen belohnt.

Wenn jedoch die Anhänger von Volksgruppenführer Rauf Denktasch die Wahl gewinnen, wäre das ein Sieg für die Hardliner in Ankara, ein Rückschlag für die türkische Regierung – und ein Problem für die EU. Denktasch selbst steht als Präsident der nur von Ankara anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ (KKTC) zwar nicht selbst zur Wahl. Die Opposition unter ihrem Chef Mehmet Ali Talat hat für den Fall ihres Wahlsieges aber angekündigt, den 79-Jährigen als Verhandlungsführer in den Gesprächen mit der griechischen Inselrepublik abzulösen.

Anders als Denktasch sieht Talat den jüngsten UN-Friedensplan für Zypern als mögliche Basis für eine friedliche Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Insel – und als Chance, die türkischen Zyprer durch eine rasche Einigung mit den Griechen beim Vollzug der EU-Erweiterung im Mai kommenden Jahres zu EU-Bürgern zu machen.

Denktasch selbst spricht dagegen von einer Volksabstimmung über das Schicksal der KKTC. Bei einem solch hohen Einsatz kommt rasch der Verdacht auf, es werde nicht nach den Regeln gespielt. Die Opposition warf der Regierung unlängst vor, sie wolle sich mit der Einbürgerung türkischer Einwanderer einen Stimmenvorteil verschaffen. Eine türkische Zeitung, die in einer Umfrage den Sieg der Opposition voraussagte, wurde in der KKTC konfisziert. Einige Beobachter wie der frühere türkische Außenminister Ismail Cem halten je nach Wahlausgang sogar einen Volksaufstand wie in Georgien für möglich.

Der türkischen Regierung jedenfalls wäre ein Kurswechsel in Nikosia sehr recht. Sie will eine Lösung für Zypern, weil sie nur dann mit baldigen EU-Beitrittsverhandlungen für das eigene Land rechnen kann. Außerdem kostet die bitterarme KKTC die selbst hoch verschuldete Türkei pro Jahr 250 Millionen Dollar. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kann dennoch nicht offen eine Ablösung von Denktasch fordern. Er muss die eigenen Hardliner im Auge behalten. „Wer Zypern hergibt, gibt auch die Türkei her“, heißt es auf Plakaten der linksnationalistischen „Arbeiterpartei“.

Auch die Armee denkt nicht daran, ihre Soldaten abzuziehen. Erdogan muss zudem die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er weiter mit Denktasch zusammenarbeiten muss. Fest steht aber schon jetzt, dass sich in der KKTC einiges ändern wird, auch wenn Denktasch nicht entmachtet wird. Zeitungsberichten zufolge feilt Ankara auf Druck der EU an einem Friedensplan für Zypern, der sofort nach der Wahl veröffentlicht werden soll.

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