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Glaubenskrise: Spanien: Die katholische Bastion wankt

Eine der letzten christlichen Bastionen Europas mit knapp 80 Prozent Katholiken wankt. Nur noch eine kleine Minderheit der Spanier geht regelmäßig zur Messe in die Kirche. Doch aus der Kirche auszutreten ist in Spanien schwierig.

Zwei Drittel der Bürger verweigern die Zahlung der Kirchensteuer, die in Spanien für die Mitglieder der Religionsgemeinschaften eine freiwillige Abgabe ist. Nun wollen immer mehr Menschen als letzten Schritt der Abkehr von der Kirche, die einst das Land beherrscht hat, sogar ihre Taufeinträge löschen lassen. Doch diesen Gefallen will die Kirche den vom Glauben Abgefallenen nicht tun.

„In die Kirche eintreten ist einfach“, sagt Inma M., die seit Jahren versucht, ihren Bruch mit der Kirche schwarz auf weiß bescheinigt zu bekommen und deswegen die Tilgung ihres Namens aus den kirchlichen Registern fordert. Bei der Pfarrgemeinde, bei der sie getauft wurde, bei der übergeordneten Diözese, bei der Bischofskonferenz. Doch vergeblich: Nun hofft die junge Frau, die von der „mittelalterlichen Kirchenpolitik“ enttäuscht ist, auf die Hilfe des ersten spanischen „Büros für den Glaubensabfall“, das in der Madrider Vorstadt Rivas (68 000 Einwohner) eröffnet wurde. Das Büro ist im Rathaus untergekommen, in dem die progressive Partei Vereinte Linke regiert.

„Wir wollen damit die öffentlichen Freiheiten verteidigen“, begründet Bürgermeister Jose Masa seine Initiative, die in Spanien viel Aufsehen erregt hat. Und er lässt mitteilen: „Der Glaubensabfall ist ein Recht, das die Bürger von uns einfordern.“ Soweit die Kirche dies nicht freiwillig akzeptiere, helfe man den Abtrünnigen mit Beratung und einem Rechtsanwalt. Mehr als 2000 Menschen aus ganz Spanien suchten in den letzten Monaten in Rivas Beistand für den Abschied von der Kirche. Allein 255 Anträge auf Kirchenaustritt von Bürgern dieser Kleinstadt wurden vom Rathaus aus an die Oberhirten geschickt.

Aber auch das mit wenig Erfolg. Zumal sich Spaniens oberster Gerichtshof jüngst auf die Seite der Kirche stellte. Nach einer Klage des Bistums Valencia entschied das Gericht, dass die Eintragung in den Taufbüchern weder getilgt noch mit dem Zusatz „vom Glauben abgefallen“ versehen werden muss. Geklagt hatte Spaniens Datenschutzbehörde, die bereits Hunderte Verfahren gegen Spaniens Bischöfe anstrengte – mit dem Argument, dass die Taufeinträge persönliche Daten enthalten und die Betroffenen somit ein Recht auf die Löschung oder wenigstens auf „Aktualisierung“ durch den Vermerk des Glaubensabfalls haben.

Nun wird dieses heiße Eisen dem Verfassungsgericht zur endgültigen Entscheidung vorgelegt. Währenddessen nehmen hunderttausende Spanier ihren Bruch mit der Kirche formlos vor. Rund die Hälfte der jungen Paare heiratet inzwischen nicht mehr vor dem Altar. Und da auch die Verweigerung der Kirchensteuer in Spanien ohne formalen Kirchenaustritt, schon mit einem einfachen Kreuzchen in der jährlichen Steuererklärung möglich ist, befindet sich die Zahl der spendierfreudigen Kirchenanhänger ebenfalls im Sinkflug. Sie ist inzwischen bei 33 Prozent der Steuerpflichtigen angelangt. Vermutlich ein Hinweis auf die wahre Glaubenslage der spanischen Nation.

Ralph Schulze[Madrid]

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