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Politik: Globalisierung: Der Protest der Globalisierungsgegner wird professioneller - inzwischen koordinieren zwei Netzwerke die verschiedenen Gruppen

Tränengaswolken hängen über den Straßen, Rauchschwaden ziehen über die Stadt. Am 30.

Tränengaswolken hängen über den Straßen, Rauchschwaden ziehen über die Stadt. Am 30. November 1999 ruft Seattles Bürgermeister den Notstand aus. Der Stadterste fordert die Nationalgarde an und verhängt eine Ausgangssperre. Die Welthandelsorganisation WTO tagt in der nordamerikanischen Stadt - und zigtausende Demonstranten aus der ganzen Welt sind nach Seattle gereist um gegen eine unsoziale Globalisierung zu demonstrieren.

Plötzlich müssen sich die angereisten Politiker hinter Sicherheitstüren verschanzen, Delegierte werden angegriffen, die Eröffnungsfeier fällt aus - der Ort der Feier, ein Theater, ist blockiert. Polizei und Nationalgarde brauchen Tage, um die Straßenschlachten zu beenden. Es gelingt ihnen nicht, friedliche und militante Gegner des WTO-Treffens auseinanderzuhalten. Mehr als 50 000 Menschen: Gewerkschafter, Menschenrechtler, Umweltschützer, organisierte Bauern aus den Ländern der Dritten Welt und Linksradikale aus vielen Staaten protestieren gemeinsam. Wie in Genua.

Die Proteste von Seattle wirkten wie ein Fanal für eine neue Bewegung. Nach Seattle ging es stetig weiter mit den Großprotesten: Prag, Nizza, Davos, Göteborg, Salzburg und schließlich Genua sind die Schlagworte der Bewegung. Die Zahl der begleitenden Internetseiten schnellte nach oben; zu jedem Ereignis gibt es eine Homepage, die die Proteste bündelt. Kaum mehr ein Land, in dem sich nicht unterschiedlichste politische Gruppen im internationalen Netzwerk engagieren. Von Brasilien, Bulgarien, Ecuador, Finnland, Kanada, Korea über Neuseeland, Polen, Portugal bis Simbabwe - überall wandelt sich das diffuse Unwohlsein über die Vernetzung der Märkte zum Protest. Immer schon wurde dabei die Frage diskutiert, ob die Gewalt einer Minderheit die Bewegung diskriminiert. Doch bislang hat diese Diskussion die neue Bewegung nicht gespalten.

Bereits Mitte der neunziger Jahre hatten sich weltweit linke Gruppen den Widerstand gegen den freien Fluss des Kapitals zulasten der Armen und der Demokratie auf die Fahnen geschrieben. In Berlin etwa trafen sich Autonome mit Kämpfern der zapatistischen Bewegung Mexikos. In den Vereinigten Staaten diskutieren indische Bauern mit US-amerikanischen Umweltgruppen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu rief die Intellektuellen Europas zu einer Bewegung für den Erhalt der sozialen und demokratischen Standards auf. Die Kontakte jedoch blieben noch unstrukturiert.

1998 erscheint als Wendepunkt dieser Sammlung. Fast zeitgleich wurden zwei Netzwerke gegründet, die der künftigen Bewegung Struktur und vor allem Auftrieb gaben. Nach vielen kleinen internationalen Treffen formierte sich im Februar das "Peoples Global Action"-Netzwerk (PGA); eine weltweite Vernetzung "gegen den Freihandel und die Welthandelsorganisation". PGA versteht sich, so ist in den Selbstdarstellungen nachzulesen, als dezentrales Netzwerk, das Aktionen verschiedener und voneinander unabhängiger Gruppen organisieren will. PGA ist dem Prinzip des zivilen Ungehorsams verpflichtet und lehnt die Annäherung an politische Parteien ab. Das PGA-Netzwerk war es, das die Proteste von Seattle organisatorisch getragen hat.

Am 3. Juni desselben Jahres gab die französische linke Wochenzeitung "Le Monde Diplomatique" den Anstoß zur Gründung eines weiteren Netzwerks: "Attac" nannten die Macher ihre Idee, der wirtschaftlichen Entwicklung eine Besteuerung von Kapitalgewinnen entgegenzustellen. Im Gegensatz zu PGA setzt Attac nicht auf die Bündelung des diffusen Protests zur gemeinsamen Aktion, sondern auf die gemeinsame Arbeit an der Idee, der sogenannten Tobin-Steuer.

Bereits jetzt rüstet sich die US-amerikanische Hauptstadt für das nächste Großereignis. Neben vielen anderen Gruppen mobilisieren auch PGA und Attac zum Protest gegen das Jahrestreffen von Weltwährungsfonds (IWF) und Weltbank am 29. und 30. September in Washington. Die Polizei rechnet mit bis zu 100 000 Demonstranten. Nach den Zusammenstößen in Göteborg und Genua richtet sich der örtliche Polizei auf das Schlimmste ein. Ein drei Meter hoher Zaun soll errichtet werden, der die Tagung von den Protesten abschirmt. Die Erinnerung an Genua wird angesichts der Absperrung weder bei Tagungsteilnehmern noch bei den Demonstranten ausbleiben.

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