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Gorleben: Ein vermutlich hypothetischer Störfall

Mehrere Ministerien prüfen jetzt die Gorleben-Akten gemeinsam. Heinz Riesenhuber, der damals Forschungsminister war, sagte, dass es 1983 keinen Streit über den Salzstock gegeben habe.

Berlin - Nachdem öffentlich geworden ist, dass die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung 1983 Druck auf die zuständigen Wissenschaftler ausgeübt hat, ein Gutachten über die Eignung des Salzstocks Gorleben als atomares Endlager zu schönen, soll es nun eine gemeinsame Überprüfung der Gorleben-Akten geben. Bei einer Schaltkonferenz auf Einladung von Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) beschlossen Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) und für das Umweltministerium Staatssekretär Matthias Machnig, gemeinsam zu sichten. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte: „Ich bin sicher, dass dabei auch meine Kollegen feststellen werden, dass Anfang der 80er Jahre kritische Fragen zum Standort Gorleben verdrängt wurden.“ Er sprach sich dafür aus, dem Bundestag nach der Prüfung der alten Akten einen Bericht vorzulegen, auf dessen Basis entschieden werden solle, ob „ein Untersuchungsausschuss zu Gorleben eingerichtet werden muss“. Vor dieser Einigung hatte de Maizière  Gabriel in einem Brief noch vorgeworfen, den „Grundkonsens“, dass Gorleben weiter erkundet werden müsse, verlassen zu haben, „ohne dass dafür neue substantielle Erkenntnisse vorliegen“.

Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) sagte der „Frankfurter Rundschau“, die umstrittenen Vorgänge bei der Auswahl des Standorts müssten aufgeklärt werden. Dennoch sei Gorleben nach zwei Jahrzehnten intensiver Erkundung „der am besten untersuchte Standort in Deutschland“. Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, wiederholte ihre Forderung nach einem Untersuchungsausschuss, der das Zustandekommen der Standortentscheidungen aller atomaren Endlager – Asse, Morsleben und Gorleben – ermitteln soll. „Wir haben ein Recht zu wissen, was in den Jahrzehnten des Atomfilzes unter Schwarz- Gelb eigentlich los war“, sagte sie.

Der damalige Forschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) sagte dem Tagesspiegel, für ihn habe es 1983 „keine politische Notwendigkeit gegeben, einzugreifen, weil die Frage Gorleben nicht im politischen Streit“ stand. Union und SPD seien sich zu diesem Zeitpunkt in dieser Frage ziemlich einig gewesen. Zudem habe er ein halbes Jahr vorher sein Amt angetreten. Das Gutachten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) sei offenbar noch von seinem Vorgänger in Auftrag gegeben worden. Er bezweifelte, dass es zu dem Vorgang „überhaupt eine Ministervorlage“ gegeben habe. „Ich weiß nicht mehr, was im Einzelnen auf Arbeitsebene dazu gelaufen ist, falls ich es überhaupt je wusste“. Er äußere sich 25 Jahre später und ohne über die Akten zu verfügen „nach bestem Wissen und bester Erinnerung“ über den Vorgang. Zum Inhalt des Telefaxes selbst sagt Riesenhuber, da seien „Anregungen über den Text eines Gutachtens ausgetauscht worden“. Das sei „unproblematisch“. Riesenhuber zitierte den im Jahr 2000 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vereinbarten Atomkonsens: „Die bisher gewonnenen geologischen Befunde stehen einer Eignungshöffigkeit des Salzstocks Gorleben nicht entgegen.“ Das „entspricht der grundsätzlichen Position des Gutachtens“, um das jetzt gestritten werde, sagte Riesenhuber. Künast kommentierte diese Äußerungen mit dem Satz, es sei Bestandteil des Amtseides eines Ministers, „Schaden vom Volke abzuwenden“. Deshalb könne sie sich angesichts des gefährlichen Stoffes, nämlich eine Million Jahre strahlender Atommüll, „nicht vorstellen, dass Herr Riesenhuber sich dafür nicht interessiert hat“.

Künast wies darauf hin, dass sie vermute, das Umweltministerium habe die Akten auf eine Kleine Anfrage ihrer Partei hin gesichtet. Denn nach einem Interview des früheren Abteilungsleiters der PTB, Professor Helmut Röthemeyer, mit der „Tageszeitung“ hätten die Grünen wissen wollen, ob es in den Akten Beweise für politischen Druck der Regierung von Helmut Kohl (CDU) gegeben hat, das Gutachten zu ändern.

In dem nun aufgetauchten Telefax wird darum gebeten, den „vermutlich hypothetischen Störfall des Wasser- und Laugenzutritts, der die diskutierte Zusammenfassung und Bewertung bestimmt, etwas weiter vom Zentrum der Betrachtung wegzurücken“. Zudem hatten die Wissenschaftler in der ersten Fassung noch empfohlen, vergleichend weitere Endlagerstandorte zu erkunden.

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